Kastanie ≠ Kastanie
Vertraute Fremde
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Kastanienbaum, Foto: B. Gramm |
Als stattlicher, bis zu 25 Meter hoher Baum ziert die Gewöhnliche Rosskastanie Dorfplätze, Parks, Schulhöfe und Biergärten. Wir sind so sehr an sie gewöhnt, dass wir ihre fremdländische Herkunft gar nicht mehr wahrnehmen. Und doch ist die Kastanie kein heimisches Gewächs. Sie stammt ursprünglich aus dem Balkangebiet und wurde erst um 1570 von den Türken nach Wien gebracht. Vor allem wegen ihrer großen, auffälligen Blütenstände erfreute sie sich wachsender Beliebtheit, und schon bald wurde sie in ganz Europa als Ziergehölz in Parks und Gärten angepflanzt. Ihren Namen verdankt die Rosskastanie übrigens der traditionellen Verwendung als Heilpflanze: Schon die Türken sollen damit Hustenerkrankungen ihrer Pferde geheilt haben.
Ampel auf Rot
Die Blüten der Rosskastanie bilden zahlreiche dichte, aufrecht stehende Blütenstände, die auch als „Kerzen“ bezeichnet werden. Solange sie befruchtungsfähig sind und Nektar produzieren, sieht man an den Blüten einen hellgelben Fleck. Dieses Farbmal lockt Bestäuber wie zum Beispiel Bienen oder Hummeln an. Nach erfolgreicher Bestäubung versiegt die Nektarproduktion und der gelbe Fleck verfärbt sich dunkelrot. Die rote Farbe ist für die Blütenbesucher gleichsam das Signal, dass an dieser Blüte nichts mehr zu holen ist.
Neben den weißblühenden Rosskastanien gibt es übrigens auch noch eine rotblühende Form. Bei dieser handelt es sich jedoch nicht um eine eigene Art, sondern um eine Kreuzung aus der Gewöhnlichen Rosskastanie und der meist strauchförmig wachsenden, rot blühenden Pavie aus Nordamerika. Die Rotblühende Rosskastanie unterscheidet sich von der Gewöhnlichen Rosskastanie außerdem in der Form der Blätter und der Fruchtkapseln, die nur wenige oder gar keine Stacheln besitzen.
Heilpflanze und Hirschfutter
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Kastanien, Foto: B. Gramm |
Zwischen September und Oktober reifen die bestachelten Kapselfrüchte der Gewöhnlichen Rosskastanie. Jede Frucht enthält einen (selten auch zwei oder sogar drei) Samen. Diese großen, braunglänzenden Kastanien sind für uns Menschen ungenießbar und sogar schwach giftig. Dies gilt allerdings nicht für Wildtiere, und so werden Rehe, Rothirsche und andere Schalenwildarten im Winter oft mit Kastanien gefüttert. Zudem hat die Rosskastanie eine lange Geschichte als Arzneipflanze. Noch heute werden die Substanzen, die man aus Rinde, Blättern, Blüten und Früchten des Baums gewinnt, in Medizin und Kosmetik verwendet. Am bekanntesten ist die gefäßverstärkende und entzündungshemmende Wirkung der Rosskastanie. Rosskastanien-Präparate werden zum Beispiel bei Magengeschwüren, Venenentzündungen und Krampfadern eingesetzt.
Kleiner Schmetterling – großer Schaden
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Kastanienblätter, Foto: B. Gramm |
Oft zeigen Kastanienbäume bereits im Sommer braune Blätter. Schuld daran ist die Kastanien-Miniermotte – ein nur etwa 5 mm großer Schmetterling. Woher die Miniermotte stammt, ist nach wie vor unklar. Sie wurde Anfang der 1980er Jahre erstmals in Mazedonien nachgewiesen und besiedelt inzwischen weite Teile Europas. Die Larven der Miniermotte bohren sich in die Blätter der Kastanienbäume. Durch ihre Fraßtätigkeit entstehen im Blatt Hohlräume (sogenannte Minen), in denen sich die Larven gut geschützt entwickeln. Da die Kastanien-Miniermotte meist zwei bis drei aufeinanderfolgende Generationen pro Jahr bildet, ist der Befall teils sehr massiv. Befallene Blätter vertrocknen, und oft sind die Bäume bereits im Juli vollständig braun. Schon im August setzt dann der Laubfall ein, was Gesundheit und Lebenskraft der Bäume beeinträchtigt.
Hartes Holz und zarte Blüten
Zwar sehen die Früchte von Rosskastanie und Edelkastanie einander auf den ersten Blick ähnlich, doch sind die beiden Bäume nicht miteinander verwandt. Anders als die Rosskastanie zählt die Edelkastanie nämlich zu den Buchengewächsen. Sie kann eine Größe von mehr als 30 Metern und ein beachtliches Alter von bis zu 2.000 Jahren erreichen. Ursprünglich war die Edelkastanie nur von Spanien über den Südalpenraum bis zum Balkan und in Kleinasien verbreitet. Erst die Römer haben den Baum nach Mitteleuropa gebracht, wo man ihn heute in wintermilden Gebieten in Parks und Gärten findet. Besonders schön sind die Bäume im Frühjahr, wenn ihre auffälligen und äußerst zahlreichen Blüten einen angenehmen Duft verströmen. Honigbienen finden die Blüten der Edelkastanie besonders attraktiv, sodass Wanderimker ihre Völker oft gezielt in Kastanienbestände stellen, um den begehrten Kastanienhonig ernten zu können. Das Holz der Edelkastanien ist ausgesprochen hart und durch den hohen Gerbstoffgehalt auch sehr widerstandsfähig. Es wird traditioneller Weise im Weinbau (für Pfähle und Fässer) eingesetzt, findet aber auch als Bau- und Möbelholz Verwendung.
„Fleisch und Brot“ der armen Leute
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Kastanien, Foto: B. Gramm |
Die Früchte der Edelkastanie (die botanisch gesehen übrigens zu den Nüssen zählen) bildeten über viele Jahrhunderte hinweg einen wichtigen Bestandteil der menschlichen Ernährung. Mehr noch: Vor der Einführung der Kartoffel waren Maronen in vielen Gegenden Europas ein unersetzliches Grundnahrungsmittel. In Zeiten von Dürren oder Missernten halfen sie gegen Hungersnöte. Man stellte aus ihnen Kastanienmehl her – die Grundlage für die Zubereitung von Kastanienbrot. Bis heute werden die delikaten, stärkereichen Früchte der Edelkastanie für verschiedene Gerichte verwendet, so zum Beispiel für Suppen oder für Süßspeisen. Geröstet werden sie vor allem auf Weihnachtsmärkten angeboten. Roh sind Maronen dagegen ungenießbar!
Kennen Sie übrigens das Sprichwort, dass man besser für niemanden die Kastanien aus dem Feuer holen sollte? Es geht auf eine bekannte Fabel des französischen Schriftstellers La Fontaine zurück, in welcher der Affe die Katze austrickst. Er lässt sich von ihr die Kastanien aus dem Feuer holen. Die Katze verbrennt sich die Pfoten, erhält aber nicht eine einzige Kastanie.
Die Kastanien für jemanden aus dem Feuer zu holen bedeutet also, dass man sich für einen anderen in Gefahr begibt und dafür womöglich auch keinen Dank erntet.
Text: Dr. Andrea Benedetter-Herramhof