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Kulturbezirk 5, 3100 St. Pölten, Niederösterreich, Austria
Seit 2011 gibt es den Museumsblog. Bis 31. Juli 2016 waren es Themen, die im Zusammenhang mit den drei Kernbereichen des Landesmuseum Niederösterreich (Geschichte - Kunst - Natur) standen. Mit 1. August 2016 wird das Landesmuseum zum Museum Niederösterreich und somit ist der Museumsblog unter neuer Adresse zu finden: www.museumnoe.at/de/das-museum/blog

25. September 2014

Frauenportrait # 32

Liese Prokop – von der Sportlerin zur Politikerin

Grundsteinlegung Landesmuseum (Ausschnitt)
am 15.9.2000, Foto NLK Isensee



Ihre ersten Lebensjahre verbrachte Liese Sykora in Korneuburg. Nach dem Krieg übersiedelte die Familie nach Tulln. Ihr Vater Dr. Hans Sykora wurde später Bezirkshauptmann. In Tulln besuchte sie wie ihre Geschwister die Volksschule und das Gymnasium. Nach ihrer Matura 1959 begann sie mit einem Studium an der Universität Wien in den Fächern Biologie  und Sportwissenschaften. Nach acht Semestern musste sie ihr Studium allerdings abbrechen, da ihr Vater plötzlich einem Schlaganfall erlegen war und die kinderreiche Familie – sie waren sieben Geschwister – finanzielle Probleme bekam. Fortan arbeitete sie als Skilehrerin in Annaberg und betreute Schulklassen als Schilehrerin.


Noch während ihres Studiums begann ihre sportliche Karriere: 1961 wurde sie Staatsmeisterin im Hochsprung und brach mit 161 cm den geltenden österreichischen Rekord. 1964 steigerte sie sich auf 164 cm und schaffte so das Limit für die Teilnahme bei den Olympischen Spielen in Tokio. Ihr Trainer war Gunnar Prokop, den sie 1965 ehelichte. Ihre sportlichen Ambitionen lebte sie nicht nur in einer Sportart aus. Insgesamt wurde sie 50fache Staatsmeisterin in den unterschiedlichsten leichtathletischen Disziplinen, so im Fünfkampf, im Weitsprung, im Hochsprung, im Hürdenlauf, in der Staffel und im Kugelstoßen. Bei der Universiade in Tokio 1967 wurde sie Weltmeisterin. Auch bei Olympischen Spielen trug sie sich in die Liste der Siegerinnen ein: In Mexiko City 1968 gewann sie die Silbermedaille im Fünfkampf. 1969 gelang ihr der Weltrekord im Fünfkampf mit 5.089 Punkten, den sie im selben Jahr noch auf 5.352 Punkte verbesserte. Als sie diese Rekorde aufstellte, war sie bereits Mutter. Denn 1966 kam ihre erste Tochter Karin zur Welt. 1970 folgte der erste Sohn, Gunnar und 1979 der zweite, Eric.

Liese Prokop gab sich nicht mit ihrer sportlichen Tätigkeit zufrieden. 1969 zog sie als jüngste Abgeordnete in den Niederösterreichischen Landtag ein. 1981 bestellte sie Landeshauptmann Siegfried Ludwig zur Landesrätin für Sport, moderne Kunst, Soziales sowie Jugend- und Familienangelegenheiten. Als erste Frau Österreichs wurde sie 1992 zur Landeshauptmann-Stellvertreterin berufen. Während ihrer Arbeit setzte sie sich immer für die Gleichstellung der Frauen an und betrat damit Neuland. Sie setzte sich für Gewaltschutz ein, förderte das Mentoring und schuf neue Einrichtungen im Land. So gehen auf ihre Initiative  das Niederösterreichische Frauenreferat und die Gleichbehandlungskommission zurück.  2004 wechselte sie in die Bundespolitik. Wolfgang Schüssel berief sie in sein Kabinett als erste Innenministerin Österreichs. Ihre Angelobung erfolgte am 22. Dezember 2004. Auch auf der internationalen Bühne der Politik behauptete sie sich als Frau: Als erste Frau wurde sie 2000 zur Präsidentin der Versammlung der Regionen Europas gewählt und 2002 für eine weitere Periode in diesem Amt bestätigt.

Franz Rupp und Liese Prokop 2004 bei einer 
Veranstaltung des Kulturbezirks St. Pölten,
Foto: Helmut Lackinger
Ihr Tod kam völlig unerwartet. Am 31. Dezember 2006 verstarb Liese Prokop auf dem Weg ins Krankenhaus. Im Gedenken an ihre Leistungen stiftete das Land Niederösterreich den Liese-Prokop-Frauenpreis, der seit 2007 in den Kategorien Wirtschaft, Kunst, Kultur und Medien,  Wissenschaft sowie Soziales und Generationen vergeben wird. Der Österreichische Integrationsfonds vergibt jedes Semester das Liese Prokop Stipendium an sozial bedürftige Studierende mit Migrationshintergrund, die sich im Vorstudienlehrgang oder im ordentlichen Studium befinden oder ihr im Herkunftsland absolviertes Studium in Österreich nostrifizieren lassen.

Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

18. September 2014

Frauenportrait # 31

Susanne Wenger - Ein Leben in Afrika


Susanne Wenger, Foto: Didi Sattmann
Susanne Wenger, am 4. Juli 1915 in Graz geboren, begann ihre künstlerische Ausbildung im Alter von 16 Jahren an der Kunstgewerbeschule in Graz. Danach besuchte sie in Wien die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt, ehe sie an die Akademie für bildende Künste wechselte, wo sie von 1933 bis 1935/36 in der Meisterklasse für Freskomalerei bei Ferdinand Andri und Herbert Boeckl studierte. Während des Zweiten Weltkriegs pflegte sie engen Kontakt zum Bildhauer Heinz Leinfellner und dem oppositionellen Kreis, der sich in seinem Atelier traf. Wenger selbst teilte zu der Zeit ihr Atelier mit Johann Fruhmann, dem späteren Ehemann Christa Hauers, und versteckte dort vom Nazi-Regime verfolgte Künstler. Nach dem Kriegsende hielt sich die Künstlerin zunächst mit dem Verkauf von Hampelmännern über Wasser und arbeitete als Illustratorin für das Kinderblatt „Unsere Zeitung“, für das sie mehrere Titelseiten gestaltete und Kurzgeschichten verfasste.

Als 1947 in Wien der Art Club, eine freie, international ausgerichtete und antifaschistische Künstlervereinigung gegründet wurde, waren Susanne Wenger, Maria Biljan-Bilger und Greta Freist zunächst die einzigen weiblichen Mitglieder. 1948 hielt sich Susanne Wenger längere Zeit in der Schweiz auf und begegnete in Zürich dem Maler und Kunsthändler Johann Egger, besser bekannt als Hansegger, der in seiner Galerie Des Eaux-Vives die aufstrebenden Vertreter der Schweizer Moderne zeigte. Seinem Rat folgend zog Susanne Wenger 1949 nach Paris, wo sie den Sprachforscher Ulli Beier kennenlernte und hei¬ratete. Ein Jahr später brach sie mit ihm nach Ibadan in Nigeria auf. Bei einem Aufenthalt in der Stadt Jebba erkrankte sie an offener Tuberkulose und lag 14 Monate im Spital. Nach ihrer Genesung zog sie 1952 in die Kleinstadt Ede, wo sie zum ersten Mal mit dem Obàtálá-Priester Ajagemo, ihrem späteren Lehrmeister, in Kontakt kam. Ajagemo erkannte in ihr eine würdige Repräsentantin der Yorùbá-Religion und führte sie in deren Mythen und Rituale ein. Nach jahrelanger Initiation und der darauffolgenden Isolati-onszeit wurde Susanne Wenger schließlich selbst zur Òsun-Priesterin geweiht. 1958 ließ sie sich in Oshogbo nieder, um den in Verfall befindlichen Òsun-Schrein zu revitalisieren. Dabei arbeitete sie mit einer Gruppe von einheimischen Tischlern, Holzschnitzern, Bildhauern und Batikkünstlern zusammen, deren Arbeiten Wenger als New Sacred Art bezeichnete. Im Laufe von etwa 20 Jahren entstand der sogenannte Heilige Hain, ein Arrangement aus Architektur, Plastik, Malerei, sowie Religion, Kunst und Natur, dessen Erhaltung heute die wichtigste Aufgabe der New-Sacred-Art-Gruppe darstellt.
Neben dem umfassenden Werk des Heiligen Hains schuf Wenger auch einzigartige Ölbilder und Batiken in der traditionellen Àdire- beziehungsweise in Wachstechnik, die 1985 anlässlich ihres 70. Geburtstags erstmals in größerem Umfang in der Kunsthalle Wien gezeigt wurden. Um ihr Werk zu erhalten, gründete sie 1995 im Zuge einer Ausstellung in der Kunsthalle Krems das Susanne Wenger Archiv, das im Jahr 2004 Räume an der Kunstmeile Krems bezog und 2011 zur Susanne Wenger Foundation erweitert wurde. Der Heilige Hain in Oshogbo wurde 2005 von der unesco in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Susanne Wenger starb am 12. Jänner 2009 und wurde in einem der Schreine im Heiligen Hain in Oshogbo beigesetzt.

Text: Alexandra Schantl, aus dem Ausstellungsbegleiter der Ausstellung "Ausnahmefrauen - Christa Hauer, Hildegard Joos, Susanne Wenger" (30.11. 2013 – 12.10. 2014) im Landesmuseum Niederösterreich

11. September 2014

Frauenportrait # 30

NeoBrennDirndln

NeoBrennDirndl, Foto © Johann Hensen Perger
Die Formation aus dem Mostviertel, die mit ihren Musikkabarett-Programmen kein Auge trocken lässt. Seit 2008 setzen die 5 Frauen ihre schauspielerischen Fähigkeiten mit Musik aus allen Stilrichtungen gekonnt in Szene. Gewürzt mit eigenen Texten, reicht ihr musikalischer Stilmix von Jazz- Rock- und Volksmusik bis Austropop und Oberkrainer, spannt den Bogen von Klezmer und Brass hin zum klassischen Wienerlied und macht sogar vor Musical, Oper und Operette nicht Halt. Verfeinert mit Eigenkompositionen lässt ein Abend mit den NeoBrennDirndln keine musikalischen Wünsche offen.

Die gemeinsame Freude an der Musik und die jahrelange intensive Freundschaft der fünf Frauen sind der Motor für ihre Programme. Persönliche Erfahrungen werden mit Witz und Humor in den gemeinsamen Proben musikalisch verarbeitet und jeder einzelnen Künstlerin sozusagen auf den Leib geschneidert. So darf jede Künstlerin ihre ganz persönliches schauspielerisches Talent und ihre musikalische Fähigkeiten zum Ausdruck bringen. Tabus gibt es keine - alles darf gesagt werden. Politische Themen werden bei den NeoBrennDirndln allerdings ausgespart.

NeoBrennDirndl, Foto © Johann Hensen Perger
Das Publikum darf in die Welt der NeoBrennDirndln Einblick nehmen. Das, was sie bewegt und berührt, wird gesungen, gezupft, gestrichen und geschlagen. Dafür ist eine Vielzahl an Instrumente nötig. Gitarre, Posaune, Tenorhorn, Melodika, Kontrabass, Tuba, Cajon, Trompete, Bockflöte, Klarinette und Saxophon kommen in allen Varianten und in abwechselnder Besetzung zum Einsatz.
Was macht die NeoBrennDirndln aus?
Vielseitigkeit, Kreativität, Teamgeist und Individualität, der Mut zu sich selbst zu stehen und sich so auszudrücken, wie es einem gefällt. Mit ihrem Programm „Primetime“ präsentieren die 5 Künstlerinnen die besten Ausschnitte ihrer vergangenen Programme. Wagen Sie einen Abend voller Lachgeschichten und Tatsachenberichten. Von märchenhaften Hausfrauen und unerreichbaren Traummännern ist hier die Rede, schöne Alpenlandschaften werden besungen und der Ausblick in tiefste Abgründe und schwindelnde Höhen lässt an Abwechslung nichts zu wünschen übrig!

NeoBrennDirndl, Foto © Johann Hensen Perger

Die NeoBrenndirndln präsentieren sich unverblümt, stimmgewaltig und gefühlsecht und garantieren Ihnen naturnahen Almenrausch mit Witz und Wahnsinn – schonungslosen Lachmuskelreiz inklusive!

Mehr zu den Dirndln (Sandra Hinterhofer, Barbara Wippl, Sabine Rauchberger, Ulli Niklas und Monika Wippl) gibt es unter:
www.neobrenndirndln.at



Schalten Sie an und tauchen Sie ein, wenn es heißt „NeoBrennDirndln ON AIR“ am
Donnerstag 18. September 2014, 19:30 Uhr im Landesmuseum Niederösterreich.
Mehr Infos unter: www.landesmuseum.net/de/kalender/musikkabarett 

Text: Monika Wippl

4. September 2014

Frauenportrait # 29

Hildegard Joos - Pionierin des österreichischen Konstruktivismus


Hildegard Joos © Slg. Gertraud und Dieter Bogner
Der Konstruktivismus hatte es „immer ordentlich schwer gehabt, bei einem etwas breiteren Publikum anzukommen, obschon er bei kleinen Kreisen von aufgeklärten Kennern jeweils sehr geschätzt wurde.“ (Harold Joos) Mit den Arbeiten von Künstlern wie Kasimir Malewitsch, Wladimir Tatlin, El Lissitzky und Piet Mondrian war international bereits ein solides Fundament gelegt, und doch schlug dem Konstruktivismus wie auch der konkreten Kunst in Österreich traditionell eine Ablehnung entgegen, die auf der Unterstellung eingeschränkter individualistischer Schöpfungskraft und schwerer Vermittelbarkeit der Werke fußte. Es scheint schwer zu begreifen zu sein, dass „die banal anmutenden Kompositionen, Monochromie inbegriffen, durchaus Resultate langer komplizierter Denkprozesse sein können.“ (Jan Tabor) Bei aller Skepsis gegenüber konkreter und konstruktivistischer Kunst in Österreich haben diese Stilrichtungen doch auch hierzulande immer wieder Lichtmomente erlebt, einige davon durch Hildegard Joos.

Das Frühwerk der österreichischen „Grande Dame“ der geometrisch-abstrakten Malerei war gemäß dem zur Nachkriegszeit gängigen Kunstempfinden noch deutlich dem Figürlich-Expressiven verpflichtet. Ende der 1950er-Jahre erfuhr ihr künstlerisches Selbstverständnis jedoch einen radikalen Wandel durch die Begegnung mit dem Schweizer Philosophen Harald Schenker (alias Harold Joos), der ihr Interesse am Konstruktivismus weckte, von dessen intellektueller Überlegenheit gegenüber anderen Kunstrichtungen er überzeugt war. Die beiden sollte fortan nicht nur eine Lebensgemeinschaft, sondern vor allem eine intensive geistige Beziehung verbinden, die das Schaffen von Hildegard Joos nachhaltig beeinflusste. 1959 ließen sich Hildegard und Harold Joos in Paris nieder, wo sie ein gemeinsames Atelier einrichteten und mit gleichgesinnten Künstler/innen regen Austausch pflegten. Nach einer kurzen informellen Phase begann sich Hildegard Joos gegen Mitte der 1960er-Jahre mit Bildkompositionen aus schiefwinkeligen und ellipsoiden Formen auseinanderzusetzen. Ersten Niederschlag fand dies in einem umfangreichen Werkzyklus mit dem Titel „Geometrische Reihe“, den sie 1964 in der Kellergalerie der Wiener Secession präsentierte. Für diese von nuancierten Weißund Grautönen bestimmte Malerei prägte die Künstlerin den Begriff der „monistischen Malerei“: „Sie ist in dem Sinne monistisch, daß sie jedesmal von einem einzigen Ding, von einem einzigen Formen-Typus spricht. […] Hier aber wiederholt die Malerin die Form 3 oder 4 Mal; das erste Element, das als Blickfang dient, ist sehr groß im Verhältnis zum Rahmen; die Größenordnung der Elemente ist dann durch so etwas wie arithmetische Progression gebrochen (wie 9–3–1 z.B.). Eine besondere Art der Dichte, zwingende A-Rithmie. Das Ding muß ‚eins‘ bleiben. So wird die Farbe ‚eins‘ sein, […] Ton in Ton.“ (Harald Schenker in: „Manifest der monistischen Kunst“, 1964) Um dem monochromen Farbauftrag Struktur zu verleihen, verwendete die Künstlerin aufgerauten Filz oder Jute als Hildegard Joos.

Ausstellungsansicht Landesmuseum Niederösterreich,
Foto: Daniel Hinterramskogler
Zu Beginn der 1970er-Jahre schließlich schuf Hildegard Joos eine Vielzahl von Werkzyklen, die das Thema Symmetrie behandeln. Hervorzuheben ist die Serie der „Balancen“ beziehungsweise „Verschiebungen“, in denen die Bildfläche optisch in zwei Hälften geteilt ist, wobei sich die Farbkomposition der geometrischen Formen der einen Hälfte in der anderen jeweils spiegelbildlich wiederholt. Um in Österreich eine ähnliche Plattform für konstruktivistische beziehungsweise konkrete Kunst zu schaffen, wie Hildegard Joos sie in Paris durch ihre Aufnahme in die Sektion „Art Cinétique, Art Concret, Art Constructif “ des Salon des Réalités Nouvelles kennengelernt hatte, regte sie 1975 mit dem Kunsthistoriker Dieter Bogner die Gründung der Gruppe Exakte Tendenzen an. Neben Hildegard und Harold Joos gehörten Kurt Ingerl, Brigitta Malche, Oskar Putz und Sabine Weiger zum inneren Kreis der Gruppe, deren Ziel es war, der konkret-konstruktiven Kunst mittels Ausstellungen und Symposien zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen. Ab 1982 intensivierte sich die Zusammenarbeit von Hildegard und Harold Joos. Sie traten nunmehr unter der Bezeichnung „H+H Joos“ in Erscheinung und versahen ihre Gemeinschaftswerke mit einem eigens gestalteten Signet. Charakteristisch für diese Zeit ist die Werkreihe der „Narrativen Geometrismen“, in der die nach mathematischen Prinzipien gestalteten Formen ohne ein erkennbares durchgängiges Schema über die Bildfläche verteilt sind. Die Motive wiederholen sich zwar von Bild zu Bild, vermitteln aber aufgrund der unzähligen Variations- und Kombinationsmöglichkeiten immer wieder eine neue Botschaft. Ab Anfang der 1990er-Jahre entstanden die Serien der „Raumnarrative“ und der „Reduzierten  Geometrismen“, die auf das Vokabular früherer Werkphasen zurückgreifen, wobei sich die Anordnung der Bildelemente auf jeweils eine Ecke konzentriert und die restliche Bildfläche von einer einheitlichen Farbgebung beherrscht wird. Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen der Klarheit der Form einerseits und dem durch mehrere Farbschichten erzeugten vibrierenden Effekt der Bildoberfläche andererseits.
In ihrem Spätwerk emanzipierte sich Hildegard Joos wieder zusehends von ihrem Partner, indem sie sich von der formalen Strenge löste und mitunter auch zur malerischen Gestik ihrer künstlerischen Anfänge zurückkehrte. Raster- und Schachbrettmuster blieben allerdings weiterhin eine Konstante in ihrem Schaffen. Trotz einer schweren altersbedingten Sehbehinderung arbeitete sie bis zuletzt täglich an ihren Werken und starb im Alter von 95 Jahren im Wiener Atelier. Mit ihrem vielseitigen Oeuvre, das die schier unbegrenzten Möglichkeiten geometrisch-abstrakter Formgebung eindrucksvoll belegt, leistete Hildegard Joos einen wichtigen Beitrag zu einer breiteren Anerkennung der konkret-konstruktiven Malerei in Österreich. Die Bedeutung ihres Werkes wurde zuletzt 1997 durch Retrospektiven in der Wiener Albertina und der Österreichischen Galerie Belvedere dokumentiert.


Text: Alexandra Schantl, aus dem Ausstellungsbegleiter der Ausstellung "Ausnahmefrauen - Christa Hauer, Hildegard Joos, Susanne Wenger" (30.11. 2013 – 12.10. 2014) im Landesmuseum Niederösterreich