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Kulturbezirk 5, 3100 St. Pölten, Niederösterreich, Austria
Seit 2011 gibt es den Museumsblog. Bis 31. Juli 2016 waren es Themen, die im Zusammenhang mit den drei Kernbereichen des Landesmuseum Niederösterreich (Geschichte - Kunst - Natur) standen. Mit 1. August 2016 wird das Landesmuseum zum Museum Niederösterreich und somit ist der Museumsblog unter neuer Adresse zu finden: www.museumnoe.at/de/das-museum/blog

30. April 2015

#13 „Wie die Pest in dem Landt zu verhütten.“

Pestsäule mit Bild der Dreifaltigkeit, 1713 
Waitzendorf (Gemeinde Schrattenthal),
Foto: © Elisabeth Vavra
An vielen Orten in Niederösterreich erinnern noch heute steinerne Denkmäler und Votivbilder in Wallfahrtskirchen an die Schrecken der Pestepidemien. In der frühen Neuzeit war der niederösterreichische Raum von zwei schweren Pestepidemien betroffen: die erste verbreitete sich in den Jahren 1679 bis 1681; die zweite setzte um 1708 im Norden Europas ein und breitete sich dann über Böhmen und Mähren bis nach Österreich und Ungarn aus. Die letzten Krankheitsfälle  traten um 1714 auf. Insgesamt fielen diesem Seuchenzug in Europa mehr als eine Million Menschen zum Opfer.  In Niederösterreich tobte die Epidemie besonders in den Jahren 1712/13.
So schrecklich sich diese beiden großen Epidemien auch auf die Bevölkerung auswirkten, so zeigen die Quellen doch, dass sich wenigstens die behördlichen Maßnahmen im Vergleich zum Mittelalter deutlich verbessert hatten. Die Medizin allerdings stand der Seuche weiterhin hilflos gegenüber.



Inschrifttafel der Pestsäule, 1713
Waitzendorf (Gemeinde Schrattenthal),
Foto: Elisabeth Vavra

Langjährige Beobachtungen der seit dem 14. Jahrhundert immer wieder auftretenden Pestepidemien hatten zur Entwicklung eines „Abwehrsystems“ geführt, das die Ausbreitung der Seuche zwar nicht verhindern,  aber eindämmen konnte. 1540 erschien die erste „Infektionsordnung“, die das Verhalten bei Gefahr oder Ausbruch der Krankheit regulierte. Für die Epidemien der Jahre 1679 bis 1681 waren die am 15. Dezember 1653 von Kaiser Ferdinand III. und 1679 von Kaiser Leopold I. erlassenen Ordnungen maßgeblich.



Infektionsordnung Kaiser Ferdinands III.
Auflage Wien 1656, Stift Altenburg, Archiv
Foto: Elisabeth Vavra


Was enthalten nun diese Ordnungen?
Die Ordnung von 1653, die 1654 in Druck erschien, beschäftigt sich im ersten Teil mit den Möglichkeiten, den Ausbruch der Pest oder anderer ansteckender Krankheiten zu verhindern und  im zweiten Teil mit den zu treffenden Maßnahmen, wenn eine Seuche bereits ausgebrochen war. Die „abscheuliche Seuch der Pestilenz gleich wie andere Plagen“ wurden, wie die Einleitung der Seuchenordnung betont,  als Strafe Gottes für die Sünden und Laster der Menschen angesehen, deshalb sollte die Geistlichkeit in ihren Predigten die Menschen zu  gottgefälliger Lebensführung und Bußfertigkeit anhalten. Bei den Gottesdiensten sollten eigene Gebete zur Abwendung der Pest gesprochen werden. Die Hausväter wurden ermahnt, in ihren Häusern auf Zucht und Ordnung zu achten. An Sonn- und Feiertagen durften die Wirtsleute, die Leutgeb, die Wein-, Bier- und Metkeller erst nach dem Gottesdienst ausschenken; im Sommer mussten sie um neun Uhr, im Winter um acht Uhr schließen.

Maria als Fürbitterin für die Menschheit
Pestsäule in Zistersdorf, 1747
Foto: Elisabeth Vavra


Im nächsten Paragraphen warnt die Ordnung vor übermäßigen Essen und Trinken, vor dem Genuss von Schweinefleisch und wurmstichigem, schädlichen Obst, da durch solche Verhaltensweisen der Körper geschwächt und anfällig für Krankheiten wird.

Eine wichtige Maßnahme setzte die Behörde durch die strenge Kontrolle einreisender Personen.  Jeder/jede musste nachweisen, dass er/sie sich die letzten vierzig Tage in einem seuchenfreien Gebiet aufgehalten hatte. Wenn Seuchenfälle bekannt wurden, dann sollte man die Namen der betroffenen Orte und Gegenden öffentlich bei den Stadt- und Markttoren oder Grenzschranken anschlagen. Wenn jemand aus einer betroffenen Region einreisen wollte, so musste er/sie sich für vierzig Tage in einer Quarantänestation aufhalten. Die Orte, in denen die Pest ausgebrochen war, mussten auch der NÖ Regierung übermittelt werden. Händler, die ihre Waren in die Städte und Märkte bringen wollten, mussten sich ebenfalls mit „Unbedenklichkeitszeugnissen“ ausweisen. Ebenfalls mussten sie eine Unbedenklichkeitserklärung für ihre Ware abgeben.
Eine wichtige Rolle spielte dabei auch die sog. Militärgrenze, die zur Abwehr der Türkengefahr errichtet wurde. Unter Kaiser Ferdinand I. in den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts begonnen, erstreckte sie sich bis zum Ende des 17. Jahrhunderts von der Adria bis zur Drau. Der schmale Sicherheitsstreifen wurde bis 1742 weiter ausgebaut. Zur Zeit der größten Ausdehnung erstreckte sich die Militärgrenze über eine Länge von 1750 km und umfasste mehr als 33.000 km2. In regelmäßigen Abständen befanden sich Quarantänestationen für Einreisende.

Der Pestheilige Sebastian
Pestsäule in Zistersdorf, 1747
Foto: Elisabeth Vavra
Gewarnt wird in der Infektionsordnung auch vor „gefährlichen Mobilien“, durch die die Seuche verbreitet wurde. Gemeint sind damit Möbel, Betten, Leinwand, Kleider, Pelzwerk und ähnliches, das in Verdacht stand, das Pestgift leicht aufnehmen zu können. Tauchte verdächtige Ware auf, durfte sie solange nicht verkauft werden, bis ihre Unbedenklichkeit  nachgewiesen war.

In der Ordnung wurden bestimmte Orte als Aufenthaltsorte für die Quarantäne festgelegt: Guntramsdorf oder Wienerherberg für das Viertel unter dem Wienerwald, Tulln oder Königstetten für das Viertel ober dem Wienerwald, Retz oder Korneuburg für das Viertel unter dem Manhartsberg sowie Waidhofen an der Thaya für das Viertel ober dem Manhartsberg.

Besonders ausführlich wird im achten Punkt auf Sauberkeit als wirksames Mittel zur Verhütung der Ansteckung und Erhaltung der Gesundheit hingewiesen: „ sich auch niemandt unterstehen, sonderlich in Stätt, und Märckten, wo gepflasterte oder sonsten Haubt-Gassen oder Strassen seyn, die Unsauberkeyten, sie seyen nun von Blut, Eingewaid, Bainern von getödten Viech, Scherben, Krautpletschen oder ander Unfladt, wodurch Gestanck und Gefahr entstehen und erwachsen kann, auff die Gassen auszuschütten, weniger todtes Viech als Hund, Katzwn, Hüener oder anders dahin zu werffen,“ Über Dienstboten, die gegen diese Gebote verstießen, wurde eine Schandstrafen verhängt.
Die Obrigkeit wurde angehalten, Kreuze aufzurichten, an die die straffälligen Dienstboten „gespannt“ wurden. Die Dienstgeber, die ihre Aufsichtspflicht verletzt hatten, wurden überdies zu Geldstrafen verurteilt, die an die Siechenhäuser abzuführen waren.

Es geht in der Ordnung aber nicht nur um Sauberkeit in den Gassen, sondern auch in den Häusern. Die Abfälle sollten in den Häusern gesammelt werden und dann mit Butten oder Schubkarren an einen von der örtlichen Behörde genehmigten Platz gebracht werden, der möglichst abgelegen sein musste. Die Rauchfangbeschauer, die ihre jährlichen Rundgänge durch die Häuser machen mussten, oder andere von der Behörde damit Beauftragte sollten in Zukunft auch auf die Sauberkeit in den Häusern achten und Auffälligkeiten zur Anzeige bringen: „So sollen auch nit allein die Zimmer selbsten, sondern auch die Fürheuser, Stiegen, Boden, Kuchel, Stallungen und Haimbligkeiten [=Abort] sauber gehalten, zum öfftern gewaschen, und außgekehrt werden […].

Der Pestheilige Rochus
Pestsäule in Zistersdorf, 1747
Foto: Elisabeth Vavra

Der letzte Paragraph des ersten Abschnittes widmet sich dem „Bettelgesind“ und den von ihnen ausgehenden Gefahren. Um die „würdigen“ von den „unwürdigen“ Bettlern zu trennen, die fremden umherschweifenden von den ortsansässigen Armen, wurden Bettelzeichen oder -zettel vorgeschrieben: „Sollen denen würdigen gewisse Zaichen und Zettl, darinnen sie mit Namen, Alter und Gestalt beschriben, außgethailt, und daß sie in ihren Dörffern und Pfarren verbleiben, angehalten.“ Wenn ausgewiesene „unwürdige“ Bettler wieder in einer Gemeinde aufgegriffen wurden, so sollten sie „an das Kreutz, oder Pranger gestellt, mit Gefängnuß belegt, oder auch in Eysen geschlagen, und zur Arbeit angehalten“ werden.

Mit diesen Maßnahmen versuchten die Behörden die Einschleppung der Pest oder anderer Seuchen zu verhindern. Welche Anordnungen in Kraft traten, wenn die Seuche einmal ausgebrochen war, darüber erfahren Sie mehr in der kommenden Woche. 

Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

Quelle: Der Römischen Kayserlichen auch zu Hungarn und Böhaimb etc. königlich Mayestätt, Ferdinandi Deß Dritten etc. Ertzhertzogens zu Oesterreich, Unsers Allergnädigsten Herrn, newe Infections-Ordnung, wie es ins gemein auff dem Landt in den Infections-Sachen zuhalten. Wienn 1654.

28. April 2015

Löwenzahn - das wilde Wunderkraut


Die scharfen Zähne an den Blättern und das „wilde" gelbe Blütenköpfchen haben dem Löwenzahn zu seinem Namen verholfen. Über 500 Namen hat das „Taraxacum" allein im deutschsprachigen Raum, ist also eine äußerst bekannte und prominente Pflanze.


Löwenzahn-Teppich im Garten des Landesmuseums
Da gibt’s zum Beispiel die Bezeichnungen Ackerzichorie, Bettseicherwurzel, Butterblume, Kettenblume, Kuhblume, Märzenbusch, Milchblume, Pfaffendistel, Pusteblume oder Wiesenlattich für die Pflanze, die ab April unsere Wiesen zu gelben Teppichen macht.

Wie kleine Sonnen strahlen die Löwenzahnköpfchen auf hellen, sonnigen Plätzen. Die Pflanze ist aber auch so anspruchslos, dass sie sogar zwischen Pflastersteinen hervorlugt.

Pingelige Gärtner gehen dem Löwenzahn gern an die Wurzel, weil sich dieser ganz schnell auf frischgemähten Rasen breit macht. Genießer und Heilpflanzen-Kundige haben aber schon längst erkannt, welch Wunderkraut im Löwenzahn steckt.


Löwenzahn wächst sogar im Kies
Unser wichtigstes Heil-Unkraut gilt als Allround-Stärkungsmittel, das schon im Altertum von griechischen und ägyptischen Ärzten geschätzt und als Magenmittel genutzt wurde. Der Löwenzahn regelt die Verdauung, pflegt Leber und Galle, hilft bei Rheuma, lässt Pickel und chronische Hautleiden verschwinden. Die Inhaltsstoffe, vor allem die Bitterstoffe des Frühlingsblühers regen sämtliche Verdauungsorgane an, auch Niere und Blase und haben blutreinigende Kraft und entschlackende und entwässernde Wirkung. Löwenzahn ist also ideal für eine Frühlingskur, wenn wir wie die Natur wieder aufblühen wollen.

Verwendet werden kann das Taraxacum von der Wurzel bis zur Blüte. Der weiße Milchsaft ist nicht giftig (das sind nur die Wolfsmilcharten wie zum Beispiel der Weihnachtsstern), lässt aber Warzen und Hornhaut verschwinden.

Verwechselt werden kann der Löwenzahn etwa mit dem Ferkelkraut oder anderen Arten der Gattung Leontodon. Die Blütenstandstiele dieser Pflanzen sind jedoch nicht hohl.

Besonders wirksam ist der Löwenzahn als Tee, der entweder aus den Blättern oder der Wurzel gebrüht wird: Dafür wird ein Löwenzahnblatt mit einer Tasse heißem Wasser übergossen und kurz ziehen gelassen. Oder zwei bis drei frische Wurzeln werden über Nacht im kalten Wasser eingeweicht, dann aufgekocht und 10 Minuten ziehen gelassen. Löwenzahntee hilft übrigens auch bei Gelenksentzündungen und senkt den Blutzuckerspiegel. Und die Löwenzahnwurzel gilt ähnlich dem Ginseng als Aufbautonikum bei Schwächezuständen.


Wer Löwenzahnwurzeln und Blüten im Frühjahr nicht selbst sammeln und dann trocknen will, der kann Tee und andere Zubereitungen in Apotheken kaufen.


Seit einigen Jahren laufen in Europa auch wieder Versuche, Löwenzahn zur Kautschukgewinnung einzusetzen, als Ersatz für Naturkautschuk, der aus dem südamerikanischen Gummibaum gewonnen wird.

Löwenzahn — das Superfood


Einzelne Löwenzahnblüte  -  im Hintergrund das Landesmuseum  
Das Taraxacum ist nicht nur wirksame und wohlschmeckende Medizin, sondern auch kulinarische Delikatesse. Die Blütenknospen werden als falsche Kapern verwendet, die Blätter geben jeder Salatmischung einen fein-bitteren Geschmack. Löwenzahnsalat hat etwa vierzigmal soviel Vitamin A wie Kopfsalat, neunmal soviel Vitamin C, viermal soviel Vitamin E, achtmal soviel Calcium, viermal soviel Magnesium, dreimal soviel Eisen und die doppelte Proteinmenge – und er schmeckt hervorragend. Die Wurzel kann fein gehobelt wie Radieschen das Butterbrot veredeln und die Blüten sind auch hübsche essbare Deko.

Natürlich macht sich das Universalkraut auch in g’schmackigen Suppen, Spinatmischungen oder Pesti sehr gut.

Und selbst auf dem Frühstückstisch darf Löwenzahn nicht fehlen, als Löwenzahnhonig mit kräftigem Aroma (der Löwenzahn ist auch eine wichtige Bienenweide!) oder als Löwenzahnkaffee: Dafür wird die Wurzel klein gewürfelt und getrocknet, dann vorsichtig in der Pfanne oder dem Backrohr geröstet und in einer Kaffeemühle fein gemahlen. Ein Teelöffel dieses Pulvers wird mit einer Tasse Wasser aufgekocht und kurz ziehen gelassen. Am besten schmeckt dieser Kaffee mit Milch, Zimt und Honig.

Appetitanregend wirkt ein Aperitif aus Löwenzahnblüten: Eine Handvoll Blüten in einen halben Liter trockenen Weißwein legen, eine halbe Stunde ziehen lassen, filtrieren, genießen!

Etwas aufwändiger ist das Brauen von Löwenzahnwein. Das wird zwar kein rescher Grüner Veltliner oder vollmundiger Sankt Laurent, aber ein wertvolles feines Getränk: Ein Kübel frische Löwenzahnblüten werden mit einem Kübel kochendem Wasser übergossen. Diesen Ansatz drei Tage stehen lassen. Dann ca. zwei Kilo Zucker hinzufügen, ein Stückchen Ingwer, die Schale einer Orange und einer Zitrone. Das ganze wird zusammen eine Stunde lang gekocht. Wenn die Mischung etwas abgekühlt ist, kommt etwas Germ dazu. Der Weinansatz wird in ein Mostfass gelehrt, das nach zwei Tagen verschlossen wird. Nach zwei Monaten kann der goldgelbe Löwenzahnwein in Flaschen abgefüllt werden. Er lässt sich einige Jahre lagern.


Quellen:
 
Heilkräuter-Seiten
Kräuterweisheiten
Zentrum der Gesundheit


Text: Beate Steiner
Fotos: © Landesmuseum Niederösterreich, Claudia Hauer

 

22. April 2015

ERINNERUNGEN AN LEOPOLD FIGL (2)


Anlässlich der Ausstellung „Figl von Österreich“, 19. April bis 26. Oktober 2015

verfasst vom Zeit- und Augenzeugen Ivo Fischer


Der passionierte Jäger, Foto: Privatbesitz
Figl  war gewohnt, einen typischen Bauernhut zu tragen, der leicht ins Genick geschoben war.

Das war aber bei den offiziellen Gängen vom Bundeskanzleramt zur Hofburg über den Ballhausplatz, kein geeignetes Kleidungsstück. Daher wurde ich beauftragt, dem Kanzler eine standesgemäße Kopfbedeckung schmackhaft zu machen. Das war ein Homburg-Hut, wie ihn z.B. Raab besaß und ich ihn schon als 15-Jähriger immer gerne getragen hatte. Dieser Hut mit seinem Seidenrand musste zwei Querfinger über der rechten Augenbraue in das Gesicht heruntergezogen werden und innen mit einem weißen Seidenfutter ausgestattet sein. Wenn der Homburg in der linken Hand getragen wurde, dann hatten die dazu passenden Handschuhe an der Hutkrempe getragen, mit den Fingern nach vorne zu sehen und beim Gehen so weit nach vorne geschwungen zu werden, dass bei jedem Schritt das weiße Seidenfutter vor dem linken Oberschenkel aufblitzte. Figl hörte sich meine Erklärungen wortlos an und schluckte trocken, erlaubte mir aber, bei der Fa. Habig am Beginn des 3.Wiener Gemeindebezirks, einen Probiertermin zu vereinbaren. Vor dem großen Geschäft, mit Poidl und mir vorgefahren, wurde der Herr Bundeskanzler vom alten Herrn Habig vor den drei Schaufenstern voller Hüte persönlich begrüßt und im Laden bei der Auswahl eines Homburg eigenhändig bedient. Als endlich eine Größe und eine dunkle Farbe passte, fuhren wir gleich in Figls Haus zurück, wo ich mit ihm das Aufsetzen, das Tragen, Abnehmen und Schwingen  eines Homburg einüben musste. Nach mehrmaligem Hin- und Hergehen in Figls kleinem Vorraum vor der Bauernstube, hatte er genug davon, ließ sich aber dann doch noch zu einigen weiteren Verbesserungen bewegen.
 


Die berühmte Bauernstube, 1952,
Foto: Privatbesitz
In diesem Vorraum stand eine hölzerne Kredenz, in deren linker unterer Ecke vier Gästebücher gestapelt lagen, in welche sich besondere Persönlichkeiten, meistens mit einem Kommentar, eingetragen hatten. Wenn aber eine dieser Persönlichkeiten die zuvor eingetragene nicht mochte, dann wurde dazwischen ein unbeschriebenes Blatt frei gelassen. Einige Male, kurz vor meinem Abschied, um von Poidl zum Bahnhof gefahren zu werden, forderte Figl mich auf, solche leeren Seiten mit einem kleinen Gedicht zu füllen, was ich dann innerhalb weniger Minuten zu machen hatte.

Als ich vor einigen Jahren von Figls Sohn Johannes die Erlaubnis erhielt, meine Gedichte aus den Gästebüchern herauskopieren zu dürfen, waren diese Gästebücher nicht mehr vorhanden. Sie wurden, wie alles, was Figl an persönlichen Dingen gehört hatte, als Erinnerungsstücke von der Familie verkauft. Auch im Figl-Museum in Rust finden sich nur Tausende von Fotografien, jedoch nicht ein einziges persönliches Gebrauchs- oder Kleidungs-Stück des unvergesslichen und unerschrockenen Bundeskanzlers.


Titelseite des zweiten Gästebuchs
Foto: Peter Boettcher
Figls Mutter, eine einfache und liebe Frau, die wir in der damaligen Russischen Zone mit Dienstwagen und Poidl einige Male besuchten, erzählte mir, als ich die gerade frisch renovierte und gut erhaltene Kirche bewunderte, dass die Russen alle, auch die schon vor dem Krieg dafür bereitgestellten, Baumaterialien requiriert und abtransportiert hätten, ihr Sohn Leopold aber nachts ganz einfach mit ein paar Flaschen Wein zum Russischen Bau-Depot gefahren sei und die Zementsäcke für die Kirchenrenovierung wieder an sich genommen und zurückgebracht hätte.
Leopold Figl mit Mutter Josefa, geb. Edhofer
in der Wohnung in der Peter-Jordan-Straße,
Foto: Privatbesitz
Manchmal war ein nachmittäglicher Besuch Figls bei Julius Raab angesagt, was als eine besondere Angelegenheit galt, denn bei “Onkel Julius” war in dessen Haus und Wohnung Vieles anders als in Leopold Figls rustikalem Bauernhaus. Bei Raabs waren gestickte Gardinen und schwere Plüschvorhänge an und um die Fenster drapiert, an den Kastenschlüsseln hingen kleine Quasten und alles war halt auf “ganz fein” eingerichtet. Die Besuchsdauer durfte ich durch Hinweise auf weitere Verpflichtungen des Bundeskanzlers begrenzen.

Als der gepanzerte und daher tief und schwer auf den Straßen liegende und durch laufende Polizeifunk-Standort-Mitteilungen gesicherte Bundeskanzlerwagen, durch den zerbombten Westbahnhof endlich auf den Bahnsteig des Schnellzuges nach Innsbruck gefahren war, standen dort der Stationsvorstand, der Lockführer und der Zugschaffner in einer Linie in “Habt-Acht”-Stellung bereit, um die dann aussteigende hohe Persönlichkeit vor der Zugabfahrt entsprechend ehrerbietig zu begrüßen und für eine entsprechende Sitzmöglichkeit zu sorgen. Als dann nur ich in meinem Gromby-Mantel ausstieg und aus beiden Manteltaschen Weinhälse neben Zigarettenpackungen herauslugten, die mir Figl beim Abschied noch rasch zugesteckt hatte, drehten sich die drei Bahnbediensteten auf ihren Absätzen um und gaben das Abfahrtsignal nach meinem Einstieg.

Bei einem CV-Studentenball im Musikvereinssaal rief Figl aus der Loge-1 rechts oben, zu mir auf dem Parkett tanzend, ganz laut herunter: “Ivo, komm herauf!”. Als ich dort eintraf, waren gerade die Rektoren der Wiener Universitäten bei Figl, um ihre Honneurs zu machen. Mit Weingläsern in den Händen, sagte Figl in diese kleine Runde, dass wir nun auf das Wohl des “Größten” unter uns, den 196 cm langen Medizinstudenten Ivo Fischer, anstoßen und trinken sollen. Das geschah dann auch mit den süß-sauren Mienen der hohen Gäste. Dieses Verhalten war ganz echt für Leopold Figl, der gerne mit Menschen aller Schichten beisammen war.

Text: Medizinalrat Univ.Prof. Dr. IVO FRITHJOF FISCHER
Gerichtlich beeidet und zertifizierter Sachverständiger
Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Chefarzt i.R. Gemeinn. Krankenhaus Mehrerau
Fellowship International College of Surgeons

16. April 2015

ERINNERUNGEN AN LEOPOLD FIGL (1)


Anlässlich der Ausstellung „Figl von Österreich“, 19. April bis 26. Oktober 2015

verfasst vom Zeit- und Augenzeugen Ivo Fischer

Du bleibst bei mir als Privatsekretär!” sagte laut und deutlich der Herr Bundeskanzler, Diplom-Ingenieur Leopold Figl, hinter mir stehend, und hielt meinen linken Arm am weiß beschuhten Handgelenk fest. Im Jahr zuvor, 1949, hatte ich bereits die im CV verbandsweit ausgeschriebene Anstellung erhalten, dem Bundeskanzler und seiner Familie im Urlaub in Matrei/Osttirol, für ein kleines Taschengeld und bei freier Logis, fünf Wochen lang als Sekretär zu dienen. Bei einer der jährlichen Österreichischen Cartell-Versammlungen 1950 in Innsbruck hatte er die Durchsetzung meiner Meinung, als Senior des Innsbrucker-Cartell-Verbandes, in einer Diskussion mit dem Vorortspräsidenten in Wien, Kirchmair, mit angehört, wobei ihm anscheinend meine höflichen, aber festen und sachlich gut fundierten Begründungen gefallen hatten. Es war darum gegangen, wer mit der geschulterten Fahne, den großen Festzug der CV-Verbindungen von der Innsbrucker Hofburg zum Berg-Isel anführen durfte. Sofort antwortete ich dem Bundeskanzler, dass er doch wisse, ich sei Medizinstudent und nicht Jurist und hätte daher keine Zeit für eine weitere, noch so ehrende, Anstellung bei ihm. Figl ließ sich aber keinen Korb geben, denn für ihn war “Nein” keine Antwort, sodass wir uns in kurzer Zeit rasch darauf einigten, dass ich wenigstens in den Semesterferien weiterhin bei ihm sein werde, in Wien sowie in seinem Urlaub mit seiner Familie in Osttirol. Diese Zusage hielt ich dann auch drei Jahre lang bis 1951, als das Ende meines Medizinstudiums nahte.

Ivo Fischer mit Fahne, Foto: Privatbesitz

Beim Abschied am Ende des dritten Jahres verlangte Figl, dass ich ihm  als Ersatz für mich einen anderen Cartellbruder senden solle, der gleich sei wie ich. Als ich lachend erwiderte, ich sei ein Unikat und nicht im Doppelpack zu haben, zwang er sich, auch fröhlich zu sein. Kurz danach empfahl ich ihm als meinen Ersatz den gerade promovierten und sehr verlässlichen Juristen Sauter aus Bregenz, der aber nur ein Jahr lang bei Figl im Bundeskanzleramt arbeitete und nachher in den Diplomatischen Dienst wechselte.

Ich hatte Figl nie daran erinnert, dass ich ihm schon einmal begegnet war, als er 1946 seinen ersten offiziellen Besuch in Vorarlberg absolvierte. Die Mitglieder der in Vorarlberg lebenden Österreichischen-Cartell-Verbands-Korporationen hatten dazu in Bregenz einen Empfang ihres ersten Österreichischen Bundeskanzlers nach dem Kriegsende, im Hotel Weißes Kreuz in Bregenz organisiert, wobei plötzlich das Gerücht aufgebracht wurde, Leopold Figl sei aus seiner Studenten-Verbindung Norica in Wien ausgetreten und daher nicht mehr Mitglied im Österreichischen-Cartell-Verband. Die dadurch entstandene Unsicherheit war groß, aber niemand konnte in der damaligen Besatzungszeit - ohne direkte Telefonverbindungen von Bregenz nach Wien - nachprüfen, ob das stimmte. So wagte ich es, den Bundeskanzler Leopold Figl selbst zu befragen und fuhr am Vorabend mit meinem kleinen Motorrad nach Dornbirn zum Bauernhaus des Landeshauptmannes Ulrich Ilg, wo Figl mit ihm in dessen Bauernstube saß und sich eine gute Bauernjause schmecken ließ. Angemeldet hatte ich mich nicht. Der dort stationierte und den Bundeskanzler bewachende Dorfpolizist fragte mich, was ich bei Figl wolle, und ließ mich dann, am Misthaufen vorbei, ungehindert in die Stube des Landeshauptmannes und Landwirtes Ilg eintreten und meine Frage an Figl persönlich stellen. Figl stand empört auf, bestätigte seine unveränderte CV-Mitgliedschaft und schimpfte auf die Trottelei so mancher Gerüchteköche. Der ehemalige Niederösterreichische Bauernführer und jetzige Bundeskanzler Figl kannte und schätzte den ehemaligen Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium und jetzigen Landeshauptmann Ilg wegen ihrer weitgehend gleichen Ansichten ganz besonders.

  Biertonne der K.a.V. Norica Wien im ÖCV, Foto: Privatbesitz
So fuhr ich also in den Semesterferien wieder zuerst für eine Woche nach Wien zum Übernehmen der laufenden Agenden von Figls ständigem Privat-Sekretär v. Beroldingen und zum Eingewöhnen auf Figls Familien-Betreuung und auf die, auch im Urlaub notwendigen Empfänge von Staatsmännern, Ministern und Bürgermeistern. Dabei konnte ich bei vielen politischen Ereignissen im Parlament, wie auch beim russischen Hochkommissar in der Bellaria, anwesend sein. Im Parlament hatte ich die ÖVP-Mitglieder der verschiedenen Ausschüsse für die Abstimmungen im Plenum rechtzeitig in den Saal zu drängen. Zum Russischen Hochkommissar wurde Figl mehrmals in das ehemalige Hotel Bellaria am Ring zitiert, wobei sein Berufs-Chauffeur Leopold, der aber nur Poidl genannt wurde, und ich als Figls Ferien-Privat-Sekretär, in den 1. Stock zum Hochkommissar, einem General in Uniform, zugelassen waren. Die sechs uns begleitenden Österreichischen Geheimpolizisten mussten in einem Parterreraum warten und hatten vor den an den Wänden rundum aufgehängten Bildern aller russischen Generäle, jeweils ein Wasserglas voll Wodka auszutrinken, sodaß sie nach dem 4.Bild schon nicht mehr stehen konnten. Der Hochkommissar begrüßte, hinter seinem Schreibtisch sitzend, den vor ihm stehenden Bundeskanzler Figl sowie den Fahrer Poidl und mich, und beschimpfte Figl gleich zu Beginn als “Schwein”  das er gleich einsperren wolle und werde. Daraufhin sagte Figl ganz ruhig zu Poidl: “Geh’ schnell hinunter und hol’ an Wein aus’m Auto!” In den wenigen Minuten absoluter Stille mit finsteren Blicken von Mann zu Mann, kam Poidl wieder herauf, mit zwei Flaschen Wein unter dem Arm und 4 Gläsern zwischen den Fingern, entkorkte rasch die Flaschen, füllte die Gläser und kredenzte sie dem General und uns drei anderen. In weiterer Wortlosigkeit wurden je ein Viertel des besten Weins, aus Figls eigenem Weingarten, den er im Kofferraum seines gepanzerten Dienstwagens immer mitführte, genussvoll und hörbar hinunter geschlürft.

Figls Dienstwagen, Foto: Privatbesitz

Alle Gesichtsminen entspannten sich bald, der General lächelte sogar, stand auf, kam hinter dem Schreibtisch hervor, klopfte Figl freundschaftlich auf die Schulter und forderte uns auf, sich um seinen großen Schreibtisch herum zu setzen, wonach wir über die geschäftlichen Dinge sprechen konnten. Meistens ging es um Lebensmittelzuteilungen an die verschiedenen Bezirke und um besondere Anlässe, die, zur Gültigkeit einer schließlich zwischen dem General und Figl getroffenen Vereinbarung, jeweils begossen wurden mit weiteren Wein-Nachschenkungen durch Poidl. Schließlich war alles ausgehandelt und wir durften wieder gehen und unsere noch immer gehbehinderten Polizisten aus dem Parterre abschleppen. Das war von den Russen absichtlich so gemacht als ein klarer Hinweis für die Bevölkerung und für die wartenden Reporter, dass es nicht sinnvoll und doch gar nicht notwendig sei, in der Sicherheit eines Russischen Territoriums, eine eigene Bewachung mitzubringen, was dann vor allem die Reporter, als Beweis dafür ganz klar vorgeführt bekamen.

In Matrei in Osttirol, im Hotel Rauter, angekommen und einquartiert, gab es immer gleich eine Menge an Post und an Nachrichten zu überbringen und zu erledigen. Es war üblich für alle ÖVP-Minister, wenigstens einmal aber nur kurz, einen Ferienbesuch beim Kanzler zu machen. Die Terminvereinbarungen und das Einhalten der Besuchszeiten hatte ich zu regeln, damit dem Kanzler ausreichend Zeit blieb für seine Erholung, für tägliche Spaziergänge und für die Jagd.

Bei den täglichen Nachmittags-Spaziergängen von zirka einer halben Stunde Dauer, standen an einigen Wegkreuzungen salutierende Dorfpolizisten, vor allem, um den Kanzler auch einmal aus der Nähe sehen zu können. Manche von ihnen hatten ihre Kriegs-Auszeichnungen nicht an ihren Uniformen angesteckt, weil sie zu Recht das Hakenkreuz als nicht mehr zeitgemäß empfanden. Als der Kanzler dann an ihnen vorbeigegangen war, sagte ich zu ihnen: ”Stecken Sie doch ihre Auszeichnungen an und seien Sie stolz darauf!”, was Figls diplomatisches Geschick zeigte, zumal am nächsten Tag die gleichen Polizisten, salutierend, auch noch ein freundlich strahlendes Gesicht zeigten.

Eine Ausnahme machte jedes Jahr der Bundesminister für Unterricht und Kunst, Felix Hurdes, weil er sich erlaubte, ein paar Tage bei seinem Freund Leopold Figl im Hotel Rauter einen Kurzurlaub zu verbringen. Dabei verlangte Hurdes, jedes Mal um Punkt 23 Uhr, dass die jeweils anwesende Tischrunde das “Wiener Fiaker Lied” singe. Seine “Dritten” saßen aber nicht ganz fest, weil es damals noch kein Kukident gab, was ihm beim berühmten Pfiff zwischen den Worten: “ ... i bin hoit .... a echt’s ...” sehr hinderlich war. Hurdes half sich aber, indem er beim Pfiff-Einsatz mit seinem Zeigefinger dirigierend auf mich zeigte, wonach ich den Pfiff zeitgerecht und laut einzufügen hatte. Figl fragte dann Hurdes, warum er gerade ausgerechnet dieses Lied mit dem typischen Pfiff gesungen haben wollte, wenn er doch nicht mehr pfeifen könne. Hurdes rief dann, auf mich zeigend: “Z’wos hab’n mir denn den Ivo?”, was weitere Heiterkeitsausbrüche und Gläseranstoßen mit sich brachte.

Figl hatte mich schon am Beginn des ersten Jahres meiner Sekretariats-Tätigkeit bei ihm, 1949, in seinem Matreier Urlaub darauf aufmerksam gemacht, dass ich mich, auch nach größeren Mengen Alkohols, nicht auf meinem Sessel zurücklehnen und niemals einen Zungenschlag haben dürfe. Er meinte, daß ich mich, wenn ich nach den vielen Getränken am Tagesende nicht mehr geradeaus in mein Zimmer zu gehen vermöchte, vom Hotelpersonal notfalls in mein Bett abschleppen lassen könnte.
Familie Figl, Foto: Privatbesitz

Jeden Sonntag-Vormittag mussten Leopold Figl mit mir, als seinem Sekretär, auf einer vor dem Rauter-Hotel rasch aufgebauten Holztribüne, die Vorbeimärsche der verschiedenen Trachten-Musik-Kapellen aus den vielen Gemeinden Osttirols abnehmen. Jede Musikkapelle hatte mindestens zwei vorneweg marschierende Marketenderinnen mit kleinen hölzernen Schnapsfässern umgehängt und mit Zinnbechern in den Händen. Figl kaufte jeder Marketenderin mindestens einen Schnaps ab und gab viel Trinkgeld als Spende für die immer dringenden Instrumentenbeschaffungen der Dorf-Musikapellen. Mir blieb nichts anderes übrig, als fleißig mitzutrinken. Nach etlichen Trachtenkapellen-Paraden waren wir mittags gerade noch in der Lage, mit einigen Kurven den Speisesaal im Hotel Rauter zu erreichen.

An einem dieser Sonntage erschien auf der Tribüne auch der Wolle-Firmeninhaber Amann. der sowohl in Wien, wie auch in New York, Geschäfte besaß und von Figl die rasche Zuteilung einer Export-Bewilligung für  billige Wolle aus Österreich nach den USA erhalten wollte. Sein Sohn hatte als Zeichen ihrer Wohlhabenheit fünf Leica-Fotokameras geöffnet und schussbereit sich um den Hals gehängt, was ihn nicht sympathisch erscheinen ließ. Amann machte am Ende seiner Begründungen für die zu seinen Gunsten gewünschte Genehmigung, den großen Fehler, Figl darauf hinzuweisen: “Eine rasche Erledigung wird nicht zu Ungunsten des Herrn Bundeskanzlers sein!”. Figls Gesichtsfarbe wechselte von rot auf weiß und wieder retour. Kurz danach tobte Figl und befahl mir, diesen Exportwunsch keinesfalls weiterzuleiten, denn er lasse sich doch nicht die Unverschämtheit der Annahme gefallen, er wäre durch eine Bestechung zu ködern. Erst nach drei Tagen hatte ich den empörten Figl wieder “auf dem Boden”, nachdem er jedes Mal auf den Plafond hochfuhr, wenn er nur schon das Wort Wolle oder Export hörte.  

Die Wiener Sängerknaben hatten zur gleichen Zeit mit der Familie Figl, aber in einem anderen kleinen Tal Osttirols, ihren Ferienaufenthalt und trugen ihre Lieder mit Aufführungen ein- bis zweimal auf der Matreier Festwiese vor. Figl mit Gattin Ilse und ihren beiden Kindern saßen in der ersten Reihe auf einem Klappstuhl im kurz gemähten Gras. Mein Platz war rechts neben dem Kanzler, während rechts von mir sein Sohn Johannes saß. Links vom Kanzler saßen seine Gattin und links neben ihr die Tochter. Figl war ein gerechter, aber auch ein sehr strenger Vater. Als Figl in der Pause aufstand, ich natürlich sofort mit ihm, und er seinen Sohn ansprach, der aber sitzen geblieben war, herrschte Figl seinen Buben sehr laut an, daß er sofort aufzustehen habe, wenn ihn sein Vater anspreche. Um diese Ungezogenheit den vielen Besuchern hinter uns nicht auffällig werden zu lassen, musste ich Figl, mit einigen “Pscht”, am Arm nehmen und versuchen, ihn wieder zu beruhigen.

Text: Medizinalrat Univ.Prof. Dr. IVO FRITHJOF FISCHER
Gerichtlich beeidet und zertifizierter Sachverständiger
Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Chefarzt i.R. Gemeinn. Krankenhaus Mehrerau
Fellowship International College of Surgeons

9. April 2015

Lebensraum Wiese


Die Bewirtschaftung von Grünland hat in Österreich traditionell eine große Bedeutung: Wiesen und Weiden machen zusammen mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche aus. Vor allem in den höher gelegenen Gebieten ist Grünlandbewirtschaftung der vorherrschende Sektor in der Landwirtschaft. Für eine große Zahl von Tieren und Pflanzen sind diese Wiesen wertvolle Lebensräume.

Bereich "Wiese" im Landesmuseum Niederösterreich


Artenreichtum zwischen Stängeln und Blättern

Eine Wiese ist eine Lebensgemeinschaft aus krautigen, meist niederwüchsigen Pflanzen. Die vorherrschende Pflanzengruppe – und zwar sowohl was ihre Masse als auch die Individuenzahl betrifft – sind die Gräser. Sie sind in den einzelnen Wiesentypen oft so vorherrschend, dass diese nach ihnen benannt sind, wie zum Beispiel die Trespen-Wiese, die Glatthafer-Wiese oder die Pfeifengras-Wiese. Die Bandbreite ihrer Wuchsformen ist beachtlich: So können Gräser hoch- oder niederwüchsig sein, sie können dicht aneinandergedrängt in sogenannten Horsten wachsen, lockere Anhäufungen bilden oder aber den Boden mehr oder weniger gleichmäßig bedecken. Dabei breiten sie sich entweder über oberirdische Ausläufer oder aber über unterirdische Sprosse aus und können auf diese Weise rasch neue Flächen besiedeln. Ergänzt werden die Gräser von einer beeindruckenden Vielfalt an unterschiedlichen Wiesenkräutern – meist mehrjährigen, sehr regenerationsfähigen Pflanzen, deren Blüten im Frühling und Sommer Massen von Insekten anlocken.

In einem der Insektarien mit Gräsern hat z.B. die Gratenkreuzspinne ihr Zuhause. 

Die „Stockwerke“ der Wiese

Zusammen schaffen die Gräser und Kräuter einer Wiese einen äußerst abwechslungsreichen Lebensraum, der einer großen Vielzahl von Wiesenbewohnern Nahrung und Unterschlupf bietet. Dieser ergibt sich aus dem Aufbau der Wiese in mehrere Schichten; diese „Stockwerke“ der Wiese unterscheiden sich hinsichtlich der Feuchtigkeit, der Lichtintensität, der Temperatur und der Windgeschwindigkeit stark voneinander:
Das unterste Stockwerk bildet die sogenannte Streuschicht. Sie befindet sich direkt über dem Boden und besteht überwiegend aus abgestorbenen Pflanzenteilen. Hier leben zahlreiche Tiere, die sich von der Streu ernähren und so zu ihrem Abbau beitragen, wie zum Beispiel Asseln, Tausendfüßer oder Schnecken. Aber auch Ameisen suchen den Wiesenboden nach Nahrung ab, und räuberische Laufkäfer und Spinnen gehen in der Streuschicht auf die Jagd. Wiesenbrütende Vögel, wie zum Beispiel Braunkehlchen, Wiesenpieper, Großer Brachvogel oder Heidelerche, errichten hier ihre Nester und ziehen ihre Jungen groß.
Auf die Streuschicht folgt die Krautschicht mit ihrem Dickicht aus Blättern und Stängeln.
Ihr breites Spektrum an ökologischen Nischen wird von einer Vielzahl von Wiesenbewohnern genutzt: Blattfressende Feld- und Laubheuschrecken etwa leben in der Krautschicht, zusammen mit Blattkäfern, Raupen, Spinnen, Blattläusen und Zikaden.
Einen Stock höher, in der sogenannten Blütenschicht, dominieren flugfähige Insekten, die sich von Pollen und Nektar ernähren, wie zum Beispiel Wildbienen, Hummeln, Schwebfliegen, Schmetterlinge, Bock- und Rosenkäfer. Zu den räuberischen Tieren der Blütenschicht zählen dagegen Wespen, Raubfliegen, Hornissen oder auch die perfekt getarnten Krabbenspinnen.

Unterschiedliche Arten von Wiesen und ihre zugehörigen Bewohner.

Ökosystem aus Menschenhand

Wiesen sind großteils keine natürlichen, sondern vom Menschen gemachte Lebensräume. Zu den natürlichen Wiesen Österreichs zählen lediglich die Wiesenbestände auf Waldlichtungen oder die alpinen Matten oberhalb der Baumgrenze. Alle anderen Grünlandflächen sind durch die landwirtschaftliche Nutzung ehemals bewaldeter Gebiete entstanden und in ihrem Fortbestand auf die Pflege durch den Menschen bzw. auf die Beweidung durch Nutztiere angewiesen. Ohne sie würden Wiesen und Weiden bald wieder unter einer geschlossenen Walddecke verschwinden. Allerdings kam es während der letzten Jahrzehnte zu einem tief greifenden strukturellen Wandel: Schwer zu bewirtschaftende, wenig ertragreiche Flächen werden häufig nicht mehr genutzt und fallen brach. Dagegen werden die Erträge in den Gunstlagen durch Intensivierung gesteigert. Beide Entwicklungstendenzen – Nutzungsaufgabe wie Intensivierung – führen gleichermaßen zum Verlust wertvoller, artenreicher Lebensräume.

Einschnitte ins Wiesenleben

Heureiter (auch Reuter genannt) werden
zum Trocknen von Gras verwendet.
Das Ökosystem Wiese ist von einer regelmäßigen Mahd abhängig. Für die Bewohner der Wiese ist dieses „einschneidende“ Ereignis keine Katastrophe, da sich ihre Entwicklung über viele Jahrhunderte an den Mahd-Rhythmus angepasst hat. Allerdings hat sich mit der Intensivierung der Landwirtschaft auch das Schnittregime geändert: Das moderne Hochleistungsgrünland wird nicht nur ungleich häufiger, sondern auch deutlich früher gemäht als die ehemals extensiv genutzten Wiesen. Dies geht auf Kosten der Vielfalt – vor allem, wenn der Schnitt viele Pflanzen noch vor ihrer Blüte- und Reifezeit trifft. Mit den Pflanzen gehen dann auch jene Tiere verloren, die sich von den Blüten oder Samen ernähren beziehungsweise sich in den Stängeln entwickeln. Um eine möglichst große Vielfalt zu fördern und zu erhalten, wäre in den meisten Fällen eine ein- bis zweimalige Mahd pro Jahr ideal. Für die tierischen Wiesenbewohner ist es zudem wichtig, dass nebeneinander liegende Wiesen nicht zum gleichen Zeitpunkt gemäht werden, um ihnen eine Flucht- und Ausweichmöglichkeit zu gewährleisten.

Grün-gelbe Artenarmut

Bis ins 19. Jahrhundert waren Mergel und Kalk die einzigen verfügbaren Quellen, die anorganische Nährstoffe lieferten. Erst seit dem Zweiten Weltkrieg kommen in den Industrieländern im großen Stil sogenannte „Kunstdünger“ zum Einsatz. Die Grünlandbestände Österreichs haben sich seither stärker verändert als all die Jahrtausende zuvor: Düngung bewirkt ein starkes Pflanzenwachstum. Dabei werden schnellwüchsige Arten gefördert, langsamwüchsige dagegen unterdrückt. Vor allem der Grasanteil nimmt zu. Die Wiesenkräuter verschwinden bis auf wenige stickstoffliebende Arten wie etwa Löwenzahn und Scharfer Hahnenfuss. Solch artenarme, uniforme Hochleistungswiesen sind heute die vorherrschenden Grünlandgesellschaften. Vielfältige, artenreiche Wiesen findet man dagegen nur noch in schwer zu bewirtschaftenden Ungunstlagen. Vor allem nährstoffarme Magerwiesen – die mit Abstand artenreichsten Biotope Österreichs – sind massiv in ihrem Bestand gefährdet.

Text: Dr. Andrea Benedetter-Herramhof
Fotos: © Landesmuseum Niederösterreich, Claudia Hauer