Susanne Strnadl, DER STANDARD, 27.3.2013
Die Ziege des Himmels stochert und meckert immer seltener
Mit
ihrem langen Schnabel ertastet die Bekassine Beute im Untergrund, mit
den äußeren Schwanzfedern erzeugt sie im Flug ein vibrierendes Summen.
Das Geräusch, das an Meckern erinnert, hat ihr den Namen "Himmelsziege"
eingetragen. Die Schnepfenart ist heute vom Aussterben bedroht.
Nur
noch 50 bis 60 Bekassinen-Paare brüten in Österreich - Der "Vogel des
Jahres" ist auf Feuchtlandschaften und Moore angewiesen - doch die
Landwirtschaft gräbt ihm das Wasser ab
Feuchtgebiete
werden immer seltener - seit Jahrzehnten gehen Moore und nasses
Grünland zurück. Mit ihnen verschwinden auch zahlreiche Tierarten, die
auf diese speziellen Habitate angewiesen sind. Die von Birdlife
Österreich und Naturschutzbund zum diesjährigen "Vogel des Jahres"
gekürte Bekassine gehört dazu: In den 1970er-Jahren galt sie in
Mitteleuropa noch als verbreiteter Brutvogel, heute firmiert sie unter "
Vom Aussterben bedroht".
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Bekassine, Foto: günther-Foto / photos.com |
Optisch
ist die zu den Schnepfenvögeln gehörende Bekassine, wissenschaftlich
Gallinago gallinago, wenig auffällig: Sie ist taubengroß und ihr
braun-beiges Gefieder eignet sich hervorragend zum Tarnen und Verstecken
in Moorlandschaften. Sonst ist sie gedrungen gebaut mit kurzen Beinen
und langem Schnabel. Während sie auf der Jagd nach Insekten und anderen
Kleintieren in kleinen Schritten umherstapft, erkundet sie mit ihrem
Schnabel den Untergrund. Dieser hat im Oberteil eine bewegliche Spitze,
die mit Sinneszellen ausgestattet ist, die es ihr ermöglichen, beim
Stochern im Boden gleichzeitig Beute zu orten und zu ertasten. Außerdem
kann sie kleine Tiere verschlucken, ohne den Schnabel vorher aus dem
Boden ziehen zu müssen.
Sichere Kinderstube
Doch
nicht nur bei der Nahrungssuche, auch beim Brüten ist die Bekassine auf
Nässe angewiesen: Als Neststandort sucht sich das Weibchen eine Mulde
in feuchtem Grünland oder in Moorgebieten, die es mit trockenem
Pflanzenmaterial auskleidet. Bevorzugt liegen die Nester auf
hügelförmigen Horsten von Seggen und anderen Gräsern, die oft von Wasser
umgeben sind. Dort bleibt die Kinderstube trocken, während Füchse oder
andere Feinde sich ungern die Füße nass machen. Ende April legt das
Weibchen gewöhnlich vier graugrüne, dunkel gesprenkelte Eier.
Die
Küken sind Nestflüchter, die vom ersten Tag an selbst Nahrung suchen,
wobei sie von den Eltern zu den besten Plätzen geführt werden. Drei bis
vier Wochen nach dem Schlupf sind sie flugfähig, davor können sie die
Eltern mit Schnabel und Beinen so an den Bauch drücken, dass sie im
Notfall sogar mit ihnen wegfliegen können. Häufiger jedoch greifen sie
zum "Verleiten", einer Verhaltensweise, bei der sie vor einem Fressfeind
mit hängenden Flügeln herflattern und den Eindruck erwecken, sie seien
eine leichte Beute. Haben sie den Störenfried weit genug vom Nest weg
geführt, fliegen sie plötzlich auf und sind weg.
Vor
der Paarung, aber auch während der Brutzeit machen die Männchen in
wilden Balzflügen auf sich aufmerksam, die auch akustisch auffallen: Die
Vögel erzeugen dabei ein vibrierendes Summen, das an das Meckern ferner
Ziegen erinnert, was der Bekassine auch den Namen "Himmelsziege"
eingetragen hat.
Das
Zustandekommen dieses Geräuschs wurde unter Ornithologen 150 Jahre lang
heftig diskutiert - heute weiß man, dass es von den äußeren
Schwanzfedern stammt: Diese werden im Sturzflug in Schwingungen
versetzt, die bei knapp 40 Stundenkilometern hörbar werden und bei rund
60 Kilometer pro Stunde abreißen.
Insgesamt
hält das Geräusch nur zwei bis drei Sekunden an, die Vögel steigen
jedoch immer wieder auf und wiederholen das Schauspiel oft minutenlang.
Diese Ausdrucksflüge dienen außer der Balz auch der Reviermarkierung und
erfolgen während der gesamten Brutzeit, vor allem in der Morgen- und
Abenddämmerung, aber auch in mondhellen Nächten. Gehört werden kann das
Meckern seit kurzem übrigens auch im Vogelsaal 29 des Naturhistorischen
Museums in Wien.
Rückzug ins Alpenvorland
Bereits
im Juli beginnt der Abflug der Bekassinen aus Nordeuropa in ihre
Winterquartiere, für die meisten Vögel nach Südfrankreich, Spanien oder
Portugal. Es gibt aber Nachweise, dass einzelne bis nach Senegal oder
dem Tschad gelangen und damit mehr als 2000 Kilometer zurücklegen. Ist
der Herbst bzw. Winter im Brutgebiet jedoch mild, kann sich der Wegzug
lange hinziehen und stellenweise ganz unterbleiben.
Mitte
März kommen die Bekassinen dann wieder, prinzipiell jedenfalls, denn in
Wirklichkeit gibt es nur noch sehr wenige bei uns. Der aktuelle Bestand
in Österreich dürfte sich auf lediglich 50 bis 60 Brutpaare belaufen,
wobei der Schwerpunkt in den Alpenvorlandgebieten Salzburgs und
Oberösterreichs liegt. In allen anderen Bundesländern lassen sich die
Brutpaare jeweils an den Fingern einer Hand abzählen. Am meisten
Bekassinen auf einem Fleck (18 bis 19 Paare) gibt es im Ibmer Moor in
Oberösterreich, wo die Vögel offenbar von entsprechenden
Moorrenaturierungsmaßnahmen profitieren.
Kaum Nasswiesen
"Die
Bekassine hat ein Riesenproblem, weil kaum noch Nasswiesen vorhanden
sind, die bis in den Sommer hinein auch nass bleiben", erklärt
Ornithologe Hans-Martin Berg vom Naturhistorischen Museum Wien, der sich
seit Jahren mit der Situation von Feuchtbiotopen und gefährdeten
Vogelarten befasst. Der Hanság etwa, eine Niedermoorlandschaft
südöstlich des Neusiedler Sees, wäre hervorragend als Brutgebiet für
Bekassinen geeignet. "Hier könnten bis zu 30 Brutpaare ein Revier
finden" , wie Berg ausführt, "aber das Wasser wird rasch abgeleitet, um
landwirtschaftlich genutzte Gebiete nicht zu gefährden, und wenn es weg
ist, sind auch die Bekassinen weg."
In
den meisten anderen europäischen Ländern geht es der Bekassine nicht
besser: In den letzten 20 Jahren war fast überall ein deutlicher
Rückgang zu verzeichnen. Aktuelle Schätzungen für ganz Europa schwanken
zwischen 930.000 und 1,9 Millionen Brutpaaren, wobei zwei Drittel des
mitteleuropäischen Bestandes in Polen leben. Verantwortlich dafür ist
überall die zunehmende Intensivierung der Landwirtschaft, die mit einem
massiven Verlust an Feuchtlebensräumen einhergeht.
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Objekt des Monats im Landesmuseum, Foto: K. Höglinger |
Die Bekassine (Gallinago gallinago) wurde zum „Vogel des Jahres 2013“ von BirdLife Österreich sowie den Partnerorganisationen Naturschutzbund Deutschland (NABU) und dem Landesbund für Vogelschutz (LBV) in Bayern gekürt. Das „Meckern“ beherrscht die Schnepfenart nicht erst seit ihr der Lebensraum mit Feuchtwiesen und Mooren zusehends abhanden gekommen ist und die Bestandsgröße sich auf wenige Brutpaare reduziert hat. Das Männchen erzeugt das artenspezifische „Meckern“, indem es sich im Balzflug mit abgespreizten äußeren Schwanzfedern rasant in die Tiefe stürzt.
Tarnkünstlerin mit Hightech-Schnabel
Unter den Schnepfen ist die Bekassine eine mittelgroße Art. Mit ihrem untersetzten Körper, kurzen Beinen und braunen Gefieder bewegt sich die Tarnkünstlerin geschickt durch feuchte Seggen-, Binsen- und Moorlandschaften. Auf der Suche nach Würmern, Schnecken und Insekten watet sie durch offene schlammige Bereiche und flache Gewässer. Der lange Schnabel ist dabei das perfekte Werkzeug, um in den lockeren Schichten feuchter Böden Kleintiere zu orten und zu ertasten. Samen von Gräsern und anderen Pflanzen stehen aber genauso auf dem Speiseplan. Bei Gefahr duckt sie sich auf den Boden und ist kaum vom Untergrund zu unterscheiden. Die Jungen verlassen bereits am ersten Tag das Nest und suchen selbst nach Nahrung. Wenngleich die Eltern sie auch zu den besten Nahrungsplätzen führen.
Herber Bestandsverlust zu verzeichnen
Die Intensivierung der Landwirtschaft mit einer frühen bzw. häufigen Wiesenmahd, das Entwässern von Grünland und die zunehmende Zersiedelung der Brutgebiete hat nicht nur der Bekassine sondern den Wiesenvögeln generell zusetzt. Kleine, allerdings rückläufige Brutbestände in Niederösterreich existieren lediglich im Teichgebiet des Waldviertels, auf den Grünbrachen am Truppenübungsplatz Allentsteig und in den March-Thaya-Auen.
Dir. Dr. Erich Steiner