In den letzten Tagen macht eine Kinderkrankheit Schlagzeilen: Berlin steht im Bann einer Masernepidemie. Ein Kleinkind ist der Krankheit sogar erlegen. Hand in Hand mit diesen Ereignissen flammt wieder die Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern von Impfungen auf. Die einen warnen vor Impfkomplikationen, die anderen vor der Gefahr von weiträumigen Epidemien, da einerseits Impfmüdigkeit herrscht, andererseits durch die Zuwanderung zahlreiche Menschen ohne Impfschutz, Erwachsene wie Kinder, nach Europa kommen. Die Fortschritte in der Medizin können heutzutage meist Komplikationen während einer Masernerkrankung hintanhalten, in der Vergangenheit vor der Entdeckung von Antibiotika, forderten auch Kinderkrankheiten zahlreiche Opfer.
Aber es waren nicht nur Kinderkrankheiten. In regelmäßigen Abständen verbreiteten sich Infektionskrankheiten, oft mit erschreckender Geschwindigkeit, in unseren Regionen. Die einen traten epidemisch mit hohen Sterblichkeitsraten auf wie etwa Pest oder Cholera, andere befielen den Einzelnen und führten zu langem Siechtum. Eine solche Krankheit war die Lepra, im Mittelalter Aussatz genannt.
Sie ist eine der ältesten bekannten Krankheiten; eine ihrer ersten Erwähnungen findet sie in einem altägyptischen Papyrus medizinischen Inhalts, dem Papyrus Hearst, um 1500 v. Chr. entstanden. Wir kennen die Krankheit aus dem Alten und Neuen Testament: Hiob wird als Prüfung Gottes vom Aussatz befallen; Jesus heilt Aussätzige. Den Entstehungsherd der Krankheit nimmt man in Ostafrika oder in Indien an. Mit den Wanderbewegungen der Menschheit breiteten sich die Bakterien, die die Krankheit verursachen, aus.
In der klassischen Antike – in Griechenland und Rom – scheint sie relativ häufig vorgekommen zu sein. Auch bei den Langobarden im 7. Jahrhundert kam sie vor. Ihre weitere Verbreitung kann man im Mittelalter dann durch das Entstehen von Versorgungsheimen für Aussätzige, den sog. Leprosorien, verfolgen. Einen Höhepunkt erreichte die Verbreitung der Krankheit im 13. Jahrhundert. Ab dem 16. Jahrhundert trat sie nur mehr äußerst selten auf. Ein Grund für die rückläufige Tendenz war sicher die Verwahrung der Erkrankten in abgesicherten Bereichen und auch der Umstand, dass die Krankheit im Gegensatz zu anderen Infektionskrankheiten nicht sehr ansteckend ist.
Der Krankheitsverlauf ist schleichend. Durch die Infektion mit dem Bakterium Mycobacterium leprae sterben die Nerven ab; durch eine Verdickung des Blutes werden die Blutgefäße verstopft und die Patienten fühlen an den betroffenen Stellen weder Kälte, Wärme noch Schmerzen. Verletzungen werden nicht bemerkt und führen so zu Sekundärinfektionen. Körperteile sterben ab; es kommt zu Verunstaltungen und Verstümmelungen.
Den Namen „Aussatz“ erhielt die Krankheit, weil die Betroffenen aus der Gemeinschaft der Gesunden ausgeschlossen wurden und vor den Mauern der mittelalterlichen Städte in den abgeschlossenen Leprosorien leben mussten. Leprakranke galten als tot. Bevor sie in den Leprosorien Aufnahme fanden, wurden sie in einem Zeremoniell, das dem der Totenfeier glich, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Der Erkrankte regelte seinen Nachlass, man feierte die Totenmesse und begleitete ihn unter Glockengeläute und Gebeten aus der Stadt zu seiner neuen Bleibe. Das Leben im Leprosenhaus war wie das in einem Kloster organisiert. Die Insassen mussten eine typische Kleidung tragen, um für jeden deutlich erkennbar zu sein. Begaben sie sich in die Stadt, mussten sie die anderen Passanten mit einer Klapper oder einem Horn auf sich aufmerksam machen. Sie mussten die Nähe von öffentlichen Brunnen meiden, durften keine Waren berühren und keine Gasthäuser
betreten. Aussätzige lebten von der Mildtätigkeit ihrer Mitmenschen. Leprosenhäuser wurden in Stiftungen und Testamenten gern bedacht, erhofften sich die reichen Mitbürger doch durch solche Mildtätigkeit Rettung für ihre Seele und Minderung der Sündenschuld.
Da man im Mittelalter der Meinung war, dass der Aussatz hochansteckend wäre, regelte die Obrigkeit genau den Umgang mit Aussätzigen. Konzilsbeschlüsse beschäftigten sich damit ebenso wie die Gesetze der Langobarden oder Karolinger. Um 1200 gab es allein in Frankreich 2000 Leprosorien. Die hohe Zahl, die für Europa daraus hochzurechen ist, kann man leider nicht nur als Beweis für ein häufiges Auftreten interpretieren, sondern auch als Beleg für zahllose Fehldiagnosen. Denn die Diagnose „Aussatz“ wurde sehr rasch, beim ersten Auftreten von Veränderungen der Haut, Ausschlägen oder Geschwüren gestellt. Waren es zunächst Richter, die die Diagnose stellten, so wurden dazu später die Leiter der Leprosenhäuser, die Meister, herangezogen. In der Folge ging die Kompetenz auf die Wund- und Stadtärzte über, die die für den Betroffenen schwerwiegende Diagnose zu stellen hatten. Diese überprüften anhand eines Kriterienkataloges, der verschiedene Stadien der Erkrankung und des Verlaufs unterschied sowie sichere und unsichere Anzeichen des Aussatzes anführte, ob die Krankheit vorlag, was im 15. Jahrhunderts immerhin noch in etwa 10 % der vorgeführten Betroffenen der Fall war. Untersuchungen, die man dabei durchführte, waren etwa das Stechen mit der Nadel, um das Schmerzempfinden zu überprüfen oder die Suche nach Geschwülsten im Ohr und auf der Zunge. Man kontrollierte die Kopfhaut, da sich hier die Krankheit früh durch Schwellungen oder Ausfallen der Haare bemerkbar machte. Auch eine heisere Stimme war verdächtig. Man muss kein Mediziner sein, um zu erkennen, dass all diese Symptome auch bei anderen Krankheiten auftreten können.
Für die Ursache der Krankheit hatte man die unterschiedlichsten Erklärungen: die einen meinten, dass falsche Ernährung Verursacher sei. Man warnte vor dem Genuss von Pferdefleisch und vor übermäßig gewürzten Speisen. Andere machten den Lebenswandel dafür verantwortlich: Aussätzige galten als verbrecherisch, zügellos und lasterhaft. Man fürchtete ihren bösen Blick und verdächtige sie der Brunnenvergiftung.
Eine soziale Besserstellung erfuhren Aussätzige erst durch die Bettelorden, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, auch den Ärmsten der Armen zu dienen – und das waren im Mittelalter unzweifelhaft die Aussätzigen. Die Tafeln der Flügelaltäre in den Kirchen zeigten nun auf einmal Heilige, etwa Franziskus, Ludwig oder Elisabeth, wie sie sich um die Aussätzigen kümmerten, ihre Wunden wuschen, ihnen zu essen und zu trinken gaben. Aus dem Ausgestoßenen wurde ein Mensch, an dem jeder Christ die Werke der Barmherzigkeit zu üben hatte.
Mit dem 16. Jahrhundert war die Krankheit zumindest in Mittel- und Westeuropa eingedämmt. Durch die Kolonialisierung gelangte der Erreger nach Westafrika und Amerika, und weiter in die Karibik und nach Brasilien. Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es Leprafälle in Skandinavien, auf Island und der Iberischen Halbinsel, in der Provence und an den italienischen Küsten, in Griechenland und auf den Inseln des Mittelmeers, wie Meyers Konversationslexikon von 1888 berichtet. In Norwegen zählte man 1862 noch 2119 Aussätzige bei nicht ganz 2 Millionen Einwohnern. Heute finden sich die meisten Krankheitsfälle noch in Asien, hier besonders in Indien, gefolgt von Südamerika. Die Tendenz ist stark rückläufig. Laut WHO erkrankten 2012 „nur mehr“ 232.857 Menschen an Lepra (http://www.who.int/lep/en/).
Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra
Aber es waren nicht nur Kinderkrankheiten. In regelmäßigen Abständen verbreiteten sich Infektionskrankheiten, oft mit erschreckender Geschwindigkeit, in unseren Regionen. Die einen traten epidemisch mit hohen Sterblichkeitsraten auf wie etwa Pest oder Cholera, andere befielen den Einzelnen und führten zu langem Siechtum. Eine solche Krankheit war die Lepra, im Mittelalter Aussatz genannt.
Hl. Franziskus küsst einen Aussätzigen, Böhmen, 14. Jh. © IMAREAL |
In der klassischen Antike – in Griechenland und Rom – scheint sie relativ häufig vorgekommen zu sein. Auch bei den Langobarden im 7. Jahrhundert kam sie vor. Ihre weitere Verbreitung kann man im Mittelalter dann durch das Entstehen von Versorgungsheimen für Aussätzige, den sog. Leprosorien, verfolgen. Einen Höhepunkt erreichte die Verbreitung der Krankheit im 13. Jahrhundert. Ab dem 16. Jahrhundert trat sie nur mehr äußerst selten auf. Ein Grund für die rückläufige Tendenz war sicher die Verwahrung der Erkrankten in abgesicherten Bereichen und auch der Umstand, dass die Krankheit im Gegensatz zu anderen Infektionskrankheiten nicht sehr ansteckend ist.
Der Krankheitsverlauf ist schleichend. Durch die Infektion mit dem Bakterium Mycobacterium leprae sterben die Nerven ab; durch eine Verdickung des Blutes werden die Blutgefäße verstopft und die Patienten fühlen an den betroffenen Stellen weder Kälte, Wärme noch Schmerzen. Verletzungen werden nicht bemerkt und führen so zu Sekundärinfektionen. Körperteile sterben ab; es kommt zu Verunstaltungen und Verstümmelungen.
Den Namen „Aussatz“ erhielt die Krankheit, weil die Betroffenen aus der Gemeinschaft der Gesunden ausgeschlossen wurden und vor den Mauern der mittelalterlichen Städte in den abgeschlossenen Leprosorien leben mussten. Leprakranke galten als tot. Bevor sie in den Leprosorien Aufnahme fanden, wurden sie in einem Zeremoniell, das dem der Totenfeier glich, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Der Erkrankte regelte seinen Nachlass, man feierte die Totenmesse und begleitete ihn unter Glockengeläute und Gebeten aus der Stadt zu seiner neuen Bleibe. Das Leben im Leprosenhaus war wie das in einem Kloster organisiert. Die Insassen mussten eine typische Kleidung tragen, um für jeden deutlich erkennbar zu sein. Begaben sie sich in die Stadt, mussten sie die anderen Passanten mit einer Klapper oder einem Horn auf sich aufmerksam machen. Sie mussten die Nähe von öffentlichen Brunnen meiden, durften keine Waren berühren und keine Gasthäuser
Aussätziger mit Klapper , Maria Saal, um 1510 © IMAREAL |
Da man im Mittelalter der Meinung war, dass der Aussatz hochansteckend wäre, regelte die Obrigkeit genau den Umgang mit Aussätzigen. Konzilsbeschlüsse beschäftigten sich damit ebenso wie die Gesetze der Langobarden oder Karolinger. Um 1200 gab es allein in Frankreich 2000 Leprosorien. Die hohe Zahl, die für Europa daraus hochzurechen ist, kann man leider nicht nur als Beweis für ein häufiges Auftreten interpretieren, sondern auch als Beleg für zahllose Fehldiagnosen. Denn die Diagnose „Aussatz“ wurde sehr rasch, beim ersten Auftreten von Veränderungen der Haut, Ausschlägen oder Geschwüren gestellt. Waren es zunächst Richter, die die Diagnose stellten, so wurden dazu später die Leiter der Leprosenhäuser, die Meister, herangezogen. In der Folge ging die Kompetenz auf die Wund- und Stadtärzte über, die die für den Betroffenen schwerwiegende Diagnose zu stellen hatten. Diese überprüften anhand eines Kriterienkataloges, der verschiedene Stadien der Erkrankung und des Verlaufs unterschied sowie sichere und unsichere Anzeichen des Aussatzes anführte, ob die Krankheit vorlag, was im 15. Jahrhunderts immerhin noch in etwa 10 % der vorgeführten Betroffenen der Fall war. Untersuchungen, die man dabei durchführte, waren etwa das Stechen mit der Nadel, um das Schmerzempfinden zu überprüfen oder die Suche nach Geschwülsten im Ohr und auf der Zunge. Man kontrollierte die Kopfhaut, da sich hier die Krankheit früh durch Schwellungen oder Ausfallen der Haare bemerkbar machte. Auch eine heisere Stimme war verdächtig. Man muss kein Mediziner sein, um zu erkennen, dass all diese Symptome auch bei anderen Krankheiten auftreten können.
Die hl. Elisabeth pflegt einen Aussätzigen, Slowakei, Ende 15. Jh. © IMAREAL |
Eine soziale Besserstellung erfuhren Aussätzige erst durch die Bettelorden, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, auch den Ärmsten der Armen zu dienen – und das waren im Mittelalter unzweifelhaft die Aussätzigen. Die Tafeln der Flügelaltäre in den Kirchen zeigten nun auf einmal Heilige, etwa Franziskus, Ludwig oder Elisabeth, wie sie sich um die Aussätzigen kümmerten, ihre Wunden wuschen, ihnen zu essen und zu trinken gaben. Aus dem Ausgestoßenen wurde ein Mensch, an dem jeder Christ die Werke der Barmherzigkeit zu üben hatte.
Mit dem 16. Jahrhundert war die Krankheit zumindest in Mittel- und Westeuropa eingedämmt. Durch die Kolonialisierung gelangte der Erreger nach Westafrika und Amerika, und weiter in die Karibik und nach Brasilien. Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es Leprafälle in Skandinavien, auf Island und der Iberischen Halbinsel, in der Provence und an den italienischen Küsten, in Griechenland und auf den Inseln des Mittelmeers, wie Meyers Konversationslexikon von 1888 berichtet. In Norwegen zählte man 1862 noch 2119 Aussätzige bei nicht ganz 2 Millionen Einwohnern. Heute finden sich die meisten Krankheitsfälle noch in Asien, hier besonders in Indien, gefolgt von Südamerika. Die Tendenz ist stark rückläufig. Laut WHO erkrankten 2012 „nur mehr“ 232.857 Menschen an Lepra (http://www.who.int/lep/en/).
Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra