Leopold Figl gehört zu den wenigen Menschen, die in Österreich quer durch alle Weltanschauungen bekannt und geschätzt werden. Bei einer Umfrage 1998 nach den beliebtesten und prominentesten Österreichern war zwar der unbestrittene Regent Wolfgang Amadeus Mozart mit 21 Prozent, ihm folgte Leopold Figl mit immerhin 14 Prozent. Johann Strauss kam - trotz Neujahrskonzert, Donauwalzer und goldenem Denkmal im Wiener Stadtpark - nur auf sechs Prozent.
Das Landesmuseum Niederösterreich widmet Leopold Figl anlässlich seines 50. Todestages eine Ausstellung "Figl von Österreich" (19. April bis zum 26. Oktober 2015), die sich mit seinem Leben und Wirken für Österreich auseinandersetzt. Ausstellungen können nie alle Aspekte aufgreifen; sie sind eingeschränkt durch Platzvorgaben; sie müssen Rücksicht auf konservatorische Richtlinien nehmen, und sie müssen die Befindlichkeiten der Besucher im Auge behalten. In loser Folge wird daher der Museumsblog in den kommenden Wochen Ergänzungen zu den Ausstellungsinhalten anbieten.
In den umfangreichen Beständen des Figl-Nachlasses, der im Niederösterreichischen Landesarchiv aufbewahrt wird, finden sich auch noch zahlreiche Redemanuskripte, alle feinsäuberlich getippt, je nach Anlass auf A4 Seiten oder auf A5 Seiten. Das Papier ist schon vergilbt, die Schrift der Schreibmaschine manchmal nur mehr schwer lesbar. Die Seiten zeigen alle noch deutlich „Gebrauchsspuren“. Figl unterstrich wichtige Wörter, besserte einzelne Sätze aus, strich manche Textstelle heraus und fügte neue ein. In der Ausstellung zeigen wir das Manuskript der Regierungserklärung vom 21. Dezember 1945.
In der Folge bringe ich Ihnen ein Redemanuskript aus einem anderen Zusammenhang:
Am 18. März 1948 fand der erste Landesbauerntag Niederösterreich nach dem Krieg statt. Das Datum war ein denkwürdiges: 100 Jahre zuvor hatten die Bauern im Zuge der Revolution 1848 ihre Freiheit erlangt. Freiheit war aber nun wieder ein kostbares Gut geworden. Österreich war von vier Besatzungsmächten besetzt. Das Klima zwischen West und Ost hatte sich nach dem Ende des Krieges wieder zunehmend verschlechtert. Der „Kalte Krieg“ war ausgebrochen. 1947 hatten die kommunistischen Parteien mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht in Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien die politische Macht ergriffen. Im Februar 1948 hatte in der Tschechoslowakei nach einer Regierungskrise die kommunistische Machtübernahme begonnen.
An diese Ereignisse erinnerte Leopold Figl in seiner Rede; und er verband diese Erinnerung mit einem flammenden Appell an die Bauernschaft, ihren Aufgaben auch in einer so schweren Zeit nachzukommen und für die Versorgung ihrer MitbürgerInnen mit den notwendigen Lebensmitteln zu sorgen. Denn er wusste, nichts war gefährlicher als ein leerer Magen:
Wenn ich heute hier das Wort nehme, so tu ich es vor allem als niederösterreichischer Bauernbündler, der ich immer war und als solcher ich mich auch heute verpflichtet und verantwortlich fühle.
Vor hundert Jahren sind die Bauern frei geworden, vor zehn Jahren ist das österreichische Volk versklavt worden, und heute, nach hundert Jahren beziehungsweise nach zehn Jahren, sind wir noch immer nicht freie Herren in einem freien Vaterlande. Jedem von uns muß doch auch jetzt die Überzeugung aufkommen, daß, wenn es vor hundert Jahren möglich war, den Bauernstand zu befreien, es heute, wenn wir zusammenhalten und opferbereiter denn je arbeiten, möglich sein muß, auch diese heutige schwere Zeit zu meistern.
Ich weiß, daß euch heute viele und harte Sorgen beschweren. Ich möchte aber nur eines sagen: Bauern, versteht die Zeit und seid euch klar, daß wir manches, was wir vielleicht vor einigen Monaten stärker betont haben, heute angesichts der Verhältnisse zurückstellen müssen im Interesse der Erhaltung des Vaterlandes, im Wissen darum, daß mit dem Kampf und mit dem Siege durch die Erhaltung Österreichs auch die wirtschaftliche und politische Zukunft das Bauernstandes gesichert ist. Die Bundesregierung steht in diesem Kampfe an vorderster Stelle, sie weiß, daß dieser Kampf um die Erringung eines freien Österreichs zum Erfolg führen muß, wenn auch die Bauern mittun. Darum seid euch bewußt der Verantwortung, die ihr zu tragen habt. Die Regierung wird sich bemühen, alles zu tun, um auch eure wirtschaftlichen Bedürfnisse zu erfüllen, weil der Nährstand eines Landes die gesunde Grundlage bilden kann, auf der die Wirtschaft des Landes aufgebaut werden muß. Der Bauer aber muß sich darüber klar sein, daß er die Verpflichtung hat, zu sorgen, daß die Konsumenten auch wirklich existieren können und daß wir Bauern den wahren Solidarismus in die Tat umsetzen müssen, das heißt gemeinsam verantworten, sich mit den anderen verstehen und mit dieser Gemeinsamkeit auch jedem einzelnen des Volkes sein Recht zu geben.
Wir leben in einer harten und schweren Zeit. Die ganze Welt ringt um die Entscheidung von Freiheit und Frieden, um wahre Demokratie, nicht um eine sogenannte Volksdemokratie. Wir Österreicher sind Nachbarn von drei Volksdemokratien seit vierzehn Tagen, und wir wissen, was Volksdemokratie heißt. Wir müssen zusammenrücken und müssen eine klare Scheidung treffen zwischen jenen, die bestrebt sind, die Totengräber dieses Volkes zu werden. Wer sich nicht eindeutig zum Bauernbund und zur Österreichischen Volkspartei bekennt, ist kein Freund von uns und mit dem hat kein ehrlicher Bauer nur eine Sekunde beisammenzustehen oder ein Wort zu reden. Mit Totengräbern der Heimat kann kein wahrer Bauer irgend etwas zu tun haben. Es ist für uns klar, daß wer mit den Kommunisten irgendwie versucht zusammenzuarbeiten, sich selbst aus den Reihen der ehrlichen Österreicher ausstößt. Daraus ergibt sich eine gewisse Zusammenarbeit mit allen anderen, die es ehrlich meinen mit der Demokratie.
In London bemüht man sich heute, mit den Verhandlungen wieder in Fluß zu kommen. Unser Außenminister hat klare Richtlinien mitbekommen, unter welchen Bedingungen wir den Vertrag zu unterzeichnen entschlossen sind. Nur wenn die wirkliche Freiheit des Staates garantiert ist und wenn wir selber imstande sein können, unsere Grenzen selbst zu verteidigen und die wirtschaftlichen Bedingungen so erstellt sind, daß wir wirklich existieren und leben können, werden wir den Staatsvertrag unterzeichnen.
Darum steht dieser heutige Bauerntag unter einem bedeutungsvollen Zeichen. Bauern, erfüllt auch in dieser entscheidungsvollen Zeit eure Pflicht in dem Wissen: „Dem Mutigen gehört die Welt, und ihm hilft auch der Herrgott.“ Darum heute die Reihen noch enger geschlossen und stärker denn je zusammenstehen im Kampfe um die Erhaltung des Bauernstandes und des Vaterlandes in dem Wissen: „Der Bauernbund ist Schutz und Wehr für Österreichs Bauern Recht und Ehr.“
Quelle: Johannes Kunz (Hg.), Leopold Figl. Ansichten eines großen Österreichers, Wien 1992, S. 122-123.
Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra
Ausstellungssujet "Figl von Österreich" im Landesmuseum Niederösterreich 19.4.-26.10.2015 |
Das Landesmuseum Niederösterreich widmet Leopold Figl anlässlich seines 50. Todestages eine Ausstellung "Figl von Österreich" (19. April bis zum 26. Oktober 2015), die sich mit seinem Leben und Wirken für Österreich auseinandersetzt. Ausstellungen können nie alle Aspekte aufgreifen; sie sind eingeschränkt durch Platzvorgaben; sie müssen Rücksicht auf konservatorische Richtlinien nehmen, und sie müssen die Befindlichkeiten der Besucher im Auge behalten. In loser Folge wird daher der Museumsblog in den kommenden Wochen Ergänzungen zu den Ausstellungsinhalten anbieten.
Oskar Helmer, Leopold Figl und Otto Mödlagl im Sommer 1945 auf einer der zahlreichen Besichtigungs- touren durch Niederösterreich (Privatbesitz) |
In der Folge bringe ich Ihnen ein Redemanuskript aus einem anderen Zusammenhang:
Am 18. März 1948 fand der erste Landesbauerntag Niederösterreich nach dem Krieg statt. Das Datum war ein denkwürdiges: 100 Jahre zuvor hatten die Bauern im Zuge der Revolution 1848 ihre Freiheit erlangt. Freiheit war aber nun wieder ein kostbares Gut geworden. Österreich war von vier Besatzungsmächten besetzt. Das Klima zwischen West und Ost hatte sich nach dem Ende des Krieges wieder zunehmend verschlechtert. Der „Kalte Krieg“ war ausgebrochen. 1947 hatten die kommunistischen Parteien mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht in Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien die politische Macht ergriffen. Im Februar 1948 hatte in der Tschechoslowakei nach einer Regierungskrise die kommunistische Machtübernahme begonnen.
An diese Ereignisse erinnerte Leopold Figl in seiner Rede; und er verband diese Erinnerung mit einem flammenden Appell an die Bauernschaft, ihren Aufgaben auch in einer so schweren Zeit nachzukommen und für die Versorgung ihrer MitbürgerInnen mit den notwendigen Lebensmitteln zu sorgen. Denn er wusste, nichts war gefährlicher als ein leerer Magen:
Bauernbund-Dankwallfahrt nach Mariazell, 20. September 1947 (Privatbesitz) |
Vor hundert Jahren sind die Bauern frei geworden, vor zehn Jahren ist das österreichische Volk versklavt worden, und heute, nach hundert Jahren beziehungsweise nach zehn Jahren, sind wir noch immer nicht freie Herren in einem freien Vaterlande. Jedem von uns muß doch auch jetzt die Überzeugung aufkommen, daß, wenn es vor hundert Jahren möglich war, den Bauernstand zu befreien, es heute, wenn wir zusammenhalten und opferbereiter denn je arbeiten, möglich sein muß, auch diese heutige schwere Zeit zu meistern.
Ich weiß, daß euch heute viele und harte Sorgen beschweren. Ich möchte aber nur eines sagen: Bauern, versteht die Zeit und seid euch klar, daß wir manches, was wir vielleicht vor einigen Monaten stärker betont haben, heute angesichts der Verhältnisse zurückstellen müssen im Interesse der Erhaltung des Vaterlandes, im Wissen darum, daß mit dem Kampf und mit dem Siege durch die Erhaltung Österreichs auch die wirtschaftliche und politische Zukunft das Bauernstandes gesichert ist. Die Bundesregierung steht in diesem Kampfe an vorderster Stelle, sie weiß, daß dieser Kampf um die Erringung eines freien Österreichs zum Erfolg führen muß, wenn auch die Bauern mittun. Darum seid euch bewußt der Verantwortung, die ihr zu tragen habt. Die Regierung wird sich bemühen, alles zu tun, um auch eure wirtschaftlichen Bedürfnisse zu erfüllen, weil der Nährstand eines Landes die gesunde Grundlage bilden kann, auf der die Wirtschaft des Landes aufgebaut werden muß. Der Bauer aber muß sich darüber klar sein, daß er die Verpflichtung hat, zu sorgen, daß die Konsumenten auch wirklich existieren können und daß wir Bauern den wahren Solidarismus in die Tat umsetzen müssen, das heißt gemeinsam verantworten, sich mit den anderen verstehen und mit dieser Gemeinsamkeit auch jedem einzelnen des Volkes sein Recht zu geben.
Leopold Figl auf einer Feier in Atzenbrugg, 12. März 1950 (Privatbesitz) |
In London bemüht man sich heute, mit den Verhandlungen wieder in Fluß zu kommen. Unser Außenminister hat klare Richtlinien mitbekommen, unter welchen Bedingungen wir den Vertrag zu unterzeichnen entschlossen sind. Nur wenn die wirkliche Freiheit des Staates garantiert ist und wenn wir selber imstande sein können, unsere Grenzen selbst zu verteidigen und die wirtschaftlichen Bedingungen so erstellt sind, daß wir wirklich existieren und leben können, werden wir den Staatsvertrag unterzeichnen.
Darum steht dieser heutige Bauerntag unter einem bedeutungsvollen Zeichen. Bauern, erfüllt auch in dieser entscheidungsvollen Zeit eure Pflicht in dem Wissen: „Dem Mutigen gehört die Welt, und ihm hilft auch der Herrgott.“ Darum heute die Reihen noch enger geschlossen und stärker denn je zusammenstehen im Kampfe um die Erhaltung des Bauernstandes und des Vaterlandes in dem Wissen: „Der Bauernbund ist Schutz und Wehr für Österreichs Bauern Recht und Ehr.“
Quelle: Johannes Kunz (Hg.), Leopold Figl. Ansichten eines großen Österreichers, Wien 1992, S. 122-123.
Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra
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