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Kulturbezirk 5, 3100 St. Pölten, Niederösterreich, Austria
Seit 2011 gibt es den Museumsblog. Bis 31. Juli 2016 waren es Themen, die im Zusammenhang mit den drei Kernbereichen des Landesmuseum Niederösterreich (Geschichte - Kunst - Natur) standen. Mit 1. August 2016 wird das Landesmuseum zum Museum Niederösterreich und somit ist der Museumsblog unter neuer Adresse zu finden: www.museumnoe.at/de/das-museum/blog

17. April 2013

Wildnisgebiet Dürrenstein

Urwald in Niederösterreich. Erbe und Auftrag

Dürrenstein, Foto: Theo Kust
Wie das kleine gallische Dorf, das sich dem riesigen Römischen Reich erfolgreich widersetzt, steht er da. Umzingelt von menschlichen Bedürfnissen und Gier, umringt von Streben nach Ordnung und Kontrollierbarkeit. Der Rothwald, der größte und schönste Urwaldrest Mitteleuropas! Ein letzter Rest von ursprünglichem, urwüchsigem Wald. Er ist vor 10.000 Jahren, nach der letzten Eiszeit, entstanden und wurde nie vom Menschen gerodet oder spürbar verändert.


Österreich ist ein Waldland, knapp die Hälfte seiner Fläche ist mit Wald bedeckt. Allerdings nicht allzu viel davon ist in naturnahem Zustand und menschlichem Eingriff entzogen. Das macht diesen nur rund 460 ha großen Fichten-Tannen-Buchen-Urwald am Abhang des Dürrensteins so wertvoll. Hier kann man ein Ökosystem in seiner Ursprünglichkeit und Eigenständigkeit antreffen.
 

Uralte Bäume

Hier können Bäume ihren vollen Lebenszyklus vollenden. Tannen und Fichten, die 600 Jahre Zeit hatten Höhen von 50 m und Umfänge von bis zu 4,8 m zu erreichen, kann man ebenso antreffen wie 400 Jahre alte Rotbuchen.
Augenfällig sind die vielfältige Wuchsformen: krumme und verdrehte Bäume, mit Beulen und Verwachsungen oder auf Stelzwurzeln. Hier entscheidet nicht menschlicher Anspruch, sondern individuelle Konkurrenzkraft, Zufall oder die Gunst des Kleinstandortes.
 

Lebendiges Totholz

Dürrenstein, Foto: Theo Kust
Stirbt ein solcher Baumriese ab, kann er hier bis zu 100 Jahre stehen bleiben bevor ihn Wind, Wetter und Erdanziehungskraft endgültig niederstrecken.
Hier im Urwald ist rund 1 /3 der Holzbiomasse Totholz: weder Störfaktor noch unnötiger Platzbesetzer, sondern wichtiger Lebensraum und Lebensgrundlage für andere Organismen!
Schon auf den ersten Blick fällt im Rothwald die Vielfalt an holzabbauende Pilzen an liegenden und stehenden Stämmen auf. Den Reichtum von Insekten und anderen Kleintieren im Todholz, darunter seltenste Arten, kann man nur erahnen. Ihre Anwesenheit fördert wiederum Arten, die von ihnen leben. Ein dichtes Gewebe aus Nehmen und Geben, fressen und gefressen werden entsteht.


Kadaververjüngung

Dürrenstein, Foto: Theo Kust
Aber auch an seine direkten Nachkommen gibt ein gefallener Baum Lebenschancen weiter. Moose wachsen auf dem modernden Stamm, fangen Flugstaub und saugen sich wie ein Schwamm mit Wasser voll. Hier bietet sich ein optimales Keimbett, etwa für Fichtensamen. Hervorgehoben aus der pflanzlichen Konkurrenz und der lange ausdauernder Schneeschicht sind ihre Lebenschancen günstiger als am Boden. Ist der fördernde Stamm vermodert, steht dann der geförderte Baum mitunter auf Stelzwurzeln da, deutliches Zeichen der „Kadaververjüngung“.

In der Ordnung der Natur

Hier finden sich abgestorbene Stämme und frische Keimlinge, verschiedene Zyklen der Waldentwicklung eng beieinander. Nicht der Mensch, sondern Urgewalten wie Sturm und Lawinen greifen hier ein, beenden das Leben des einen und fördern den anderer. Natürliche Prozesse können hier ungehindert ablaufen. Und siehe da: Borkenkäfer spielen hier, im Gegensatz zu Wirtschaftswäldern, nur eine recht unscheinbare Rolle.

Eckdaten des Überlebens

Dürrenstein, Foto: Theo Kust
Wie aber kam es, dass ausgerechnet hier in Niederösterreich noch ein Stückchen Urwald überdauern konnte? Und das in unmittelbarer Nähe zur niederösterreichischen Eisenstrasse, wo Eisenverarbeitung einen großen Holzbedarf erforderte.
Für sein Überleben war sicher die geographische Lage in einem schwer erreichbaren Kessel günstig. Lange gab es genügend leichter erreichbare Wälder, die genutzt und gerodet werden konnten.
Auch ein Streit zwischen zwei Klöstern war für den Rothwald hilfreich. 337 Jahre lang konnten sich die Kartause Gaming und das Stift Admont nicht über die genauen Besitzverhältnisse einigen. Jahrhunderte lang hielten sich die beiden Klöster gegenseitig in Schach, bevor es 1689 zu einem Vergleich kam.
1782 ließ Kaiser Joseph II. die Kartause Gaming schließen, der Rothwald kam zunächst in staatlichen, dann in privaten Besitz. Immer wieder zerstörten Hochwässer die Holzdriftanlagen und verzögerten damit die rasche Ausbeutung. Sicher trug auch die wichtiger werdende Steinkohle zur Entlastung der Wälder in den Göstlinger Alpen bei.
 

Albert Rothschild - rettender Visionär

Foto: www.wildnisgebiet.at
Der Rothwald hatte trotzdem wertvolle Flächen verloren. In den 93 Jahren zwischen 1782 und 1875 wurden rund 1750 ha Urwald gerodet.
1875 als die technischen Möglichkeiten zur vollständigen Ausbeutung bereits recht gut waren, kam es zu einer unglaublich glücklichen Wendung.
Albert Rothschild, Leiter eines Finanzimperiums und Jäger ersteigerte unter anderem den Rothwald aus der Konkursmasse des Vorbesitzers, einer Aktiengesellschaft. Er besucht den Urwald und erkannte seine Einzigartigkeit. Gegen jeden Zeitgeist, auch den seiner Forstexperten, stellt er den Rothwald unter seinen persönlichen Schutz und gewährleistet damit seine Unberührtheit und sein Überleben. Als er 1911 einen überraschenden Herztod erleidet, wird in Nachrufen schon sein visionärer Schutz des Urwald Rothwald gewürdigt. Glücklicherweise gab er die Liebe zu seinem „Goldplatzl“ an seine Nachkommen weiter.


Erbe und Auftrag

Dürrenstein, Foto: Theo Kust
Heute ist der Rothwald Kernzone und Keimzelle des Wildnisgebiets Dürrenstein. Übrigens das einzige Schutzgebiet Österreichs, das von der Weltnaturschutzorgansiation IUCN in diese international höchste Schutzkategorie gestuft wurde. Der Zugang ist stark reglementiert.
Und es geht weiter: bis zum Jahr 2015 soll das Wildnisgebiet um 1000 ha erweitert werden. Die Waldbestände des Erweiterungsgebietes haben ein Alter von rund 200 Jahren und sind in einem naturnahen Zustand. Und schon in ein paar hundert Jahren sind die Grenzen nicht mehr auszumachen.


Direkter Link zum Wildnisgebiet: www.wildnisgebiet.at

Literatur:
•    http://www.umweltbundesamt.at/umweltschutz/naturschutz/schutzgebiete/wildnisgebiete/ (kopiert am 28.05.2006)
•    Anonym (2011) Meilenstein für den Naturschutz. Wildnisgebiet Dürrenstein erweitert. Seiten 14 – 15 . Umwelt & Energie 01 / 2011.
•    Anonym (2010) Ausbreitung der Wildnis. Seite 8. wood.stock 3 – 2010.
•    ZUKRIGL Kurt (2002) Urwälder und Naturwaldreservate in Niederösterreich. Seiten 93 – 99. In: NÖ LANDESMUSEUM (HRSG.) (2002) Natur im Herzen Mitteleuropas. Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums, St. Pölten. Niederösterreichisches Pressehaus Landesverlag: St. Pölten.
•    SPLECHTNA KARL (2001) Wildnisgebiet Dürrenstein – Albert Rothschild Bergwaldreservat. Skizzen einer Nutzungsgeschichte. Seiten 75 – 81. In: GOSSOW Hartmut (2001) Life-Projekt Wildnisgebiet Dürrenstein. Managementplan. 


Text: Mag. Norbert Ruckenbauer

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Neuer Bildband „Urwald in Österreich“

Matthias Schickhofers opulente Liebeserklärung

Mit dem Begriff Urwald verbinden wir hierzulande wohl am ehesten einen tropischen Regenwald wie jenen am Amazonas oder andere entlegene naturbelassene Gebiete. Dass es Urwälder auch direkt vor unserer Haustür gibt, wird für viele Menschen überraschend sein. In Niederösterreich etwa liegt  in der Gegend von Göstling an der Ybbs das Urwaldkleinod Wildnisgebiet Dürrenstein.
Ich will mit dem Buch Orte in Österreich präsentieren, die viele Menschen hier nicht vermuten. Es gibt tatsächlich noch Urwälder in Österreich. Auf weniger als einem Prozent der Waldfläche haben Ur- und Naturwälder überlebt. Diese letzten ‚Botschafter der alten Welt’ sind ein herausragendes Naturerbe und daher besonders schützenswert“, sagt Matthias Schickhofer, Naturfotograf und Umweltschützer.

Neben faszinierenden Bildern zeigt auch der Text, dass der heimische Urwald den Autor in seinen Bann gezogen hat. Mit teils geradezu poetischen Wendungen beschreibt er diese vergessenen paradiesischen Welten, wo der Palast des Waldkönigs oder Trolle vermutet werden und wo sich Wölfe und Luchse gute Nacht sagen sollten. Unterlegt ist das Buch mit Gastkommentaren und zweckdienlichen Hinweisen für Wanderungen und Führungen inklusive Landkarten, die die Orientierung sehr erleichtern. Wer es gesehen und gelesen hat, wird Schickhofers Wunsch nach mehr öffentlichem Bewusstsein zur Erhaltung dieser Waldparadiese und damit ihrer Artenvielfalt gerne teilen.
Das Buch aus dem Christian Brandstätter Verlag ist im Buchhandel erhältlich, aber auch im Shop des Landesmuseums Niederösterreich, es kostet 29,90 Euro.
Linktipp: www.schickhofer-photography.com
 

Text: Gerhard Hintringer

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