Anlässlich der Ausstellung „Figl von Österreich“, 19. April bis 26. Oktober 2015
verfasst vom Zeit- und Augenzeugen Ivo Fischer
“Du bleibst bei mir als Privatsekretär!” sagte laut und deutlich der Herr Bundeskanzler, Diplom-Ingenieur Leopold Figl, hinter mir stehend, und hielt meinen linken Arm am weiß beschuhten Handgelenk fest. Im Jahr zuvor, 1949, hatte ich bereits die im CV verbandsweit ausgeschriebene Anstellung erhalten, dem Bundeskanzler und seiner Familie im Urlaub in Matrei/Osttirol, für ein kleines Taschengeld und bei freier Logis, fünf Wochen lang als Sekretär zu dienen. Bei einer der jährlichen Österreichischen Cartell-Versammlungen 1950 in Innsbruck hatte er die Durchsetzung meiner Meinung, als Senior des Innsbrucker-Cartell-Verbandes, in einer Diskussion mit dem Vorortspräsidenten in Wien, Kirchmair, mit angehört, wobei ihm anscheinend meine höflichen, aber festen und sachlich gut fundierten Begründungen gefallen hatten. Es war darum gegangen, wer mit der geschulterten Fahne, den großen Festzug der CV-Verbindungen von der Innsbrucker Hofburg zum Berg-Isel anführen durfte. Sofort antwortete ich dem Bundeskanzler, dass er doch wisse, ich sei Medizinstudent und nicht Jurist und hätte daher keine Zeit für eine weitere, noch so ehrende, Anstellung bei ihm. Figl ließ sich aber keinen Korb geben, denn für ihn war “Nein” keine Antwort, sodass wir uns in kurzer Zeit rasch darauf einigten, dass ich wenigstens in den Semesterferien weiterhin bei ihm sein werde, in Wien sowie in seinem Urlaub mit seiner Familie in Osttirol. Diese Zusage hielt ich dann auch drei Jahre lang bis 1951, als das Ende meines Medizinstudiums nahte.
Ivo Fischer mit Fahne, Foto: Privatbesitz |
Beim Abschied am Ende des dritten Jahres verlangte Figl, dass ich ihm als Ersatz für mich einen anderen Cartellbruder senden solle, der gleich sei wie ich. Als ich lachend erwiderte, ich sei ein Unikat und nicht im Doppelpack zu haben, zwang er sich, auch fröhlich zu sein. Kurz danach empfahl ich ihm als meinen Ersatz den gerade promovierten und sehr verlässlichen Juristen Sauter aus Bregenz, der aber nur ein Jahr lang bei Figl im Bundeskanzleramt arbeitete und nachher in den Diplomatischen Dienst wechselte.
Ich hatte Figl nie daran erinnert, dass ich ihm schon einmal begegnet war, als er 1946 seinen ersten offiziellen Besuch in Vorarlberg absolvierte. Die Mitglieder der in Vorarlberg lebenden Österreichischen-Cartell-Verbands-Korporationen hatten dazu in Bregenz einen Empfang ihres ersten Österreichischen Bundeskanzlers nach dem Kriegsende, im Hotel Weißes Kreuz in Bregenz organisiert, wobei plötzlich das Gerücht aufgebracht wurde, Leopold Figl sei aus seiner Studenten-Verbindung Norica in Wien ausgetreten und daher nicht mehr Mitglied im Österreichischen-Cartell-Verband. Die dadurch entstandene Unsicherheit war groß, aber niemand konnte in der damaligen Besatzungszeit - ohne direkte Telefonverbindungen von Bregenz nach Wien - nachprüfen, ob das stimmte. So wagte ich es, den Bundeskanzler Leopold Figl selbst zu befragen und fuhr am Vorabend mit meinem kleinen Motorrad nach Dornbirn zum Bauernhaus des Landeshauptmannes Ulrich Ilg, wo Figl mit ihm in dessen Bauernstube saß und sich eine gute Bauernjause schmecken ließ. Angemeldet hatte ich mich nicht. Der dort stationierte und den Bundeskanzler bewachende Dorfpolizist fragte mich, was ich bei Figl wolle, und ließ mich dann, am Misthaufen vorbei, ungehindert in die Stube des Landeshauptmannes und Landwirtes Ilg eintreten und meine Frage an Figl persönlich stellen. Figl stand empört auf, bestätigte seine unveränderte CV-Mitgliedschaft und schimpfte auf die Trottelei so mancher Gerüchteköche. Der ehemalige Niederösterreichische Bauernführer und jetzige Bundeskanzler Figl kannte und schätzte den ehemaligen Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium und jetzigen Landeshauptmann Ilg wegen ihrer weitgehend gleichen Ansichten ganz besonders.
Biertonne der K.a.V. Norica Wien im ÖCV, Foto: Privatbesitz |
Figls Dienstwagen, Foto: Privatbesitz |
Alle Gesichtsminen entspannten sich bald, der General lächelte sogar, stand auf, kam hinter dem Schreibtisch hervor, klopfte Figl freundschaftlich auf die Schulter und forderte uns auf, sich um seinen großen Schreibtisch herum zu setzen, wonach wir über die geschäftlichen Dinge sprechen konnten. Meistens ging es um Lebensmittelzuteilungen an die verschiedenen Bezirke und um besondere Anlässe, die, zur Gültigkeit einer schließlich zwischen dem General und Figl getroffenen Vereinbarung, jeweils begossen wurden mit weiteren Wein-Nachschenkungen durch Poidl. Schließlich war alles ausgehandelt und wir durften wieder gehen und unsere noch immer gehbehinderten Polizisten aus dem Parterre abschleppen. Das war von den Russen absichtlich so gemacht als ein klarer Hinweis für die Bevölkerung und für die wartenden Reporter, dass es nicht sinnvoll und doch gar nicht notwendig sei, in der Sicherheit eines Russischen Territoriums, eine eigene Bewachung mitzubringen, was dann vor allem die Reporter, als Beweis dafür ganz klar vorgeführt bekamen.
In Matrei in Osttirol, im Hotel Rauter, angekommen und einquartiert, gab es immer gleich eine Menge an Post und an Nachrichten zu überbringen und zu erledigen. Es war üblich für alle ÖVP-Minister, wenigstens einmal aber nur kurz, einen Ferienbesuch beim Kanzler zu machen. Die Terminvereinbarungen und das Einhalten der Besuchszeiten hatte ich zu regeln, damit dem Kanzler ausreichend Zeit blieb für seine Erholung, für tägliche Spaziergänge und für die Jagd.
Bei den täglichen Nachmittags-Spaziergängen von zirka einer halben Stunde Dauer, standen an einigen Wegkreuzungen salutierende Dorfpolizisten, vor allem, um den Kanzler auch einmal aus der Nähe sehen zu können. Manche von ihnen hatten ihre Kriegs-Auszeichnungen nicht an ihren Uniformen angesteckt, weil sie zu Recht das Hakenkreuz als nicht mehr zeitgemäß empfanden. Als der Kanzler dann an ihnen vorbeigegangen war, sagte ich zu ihnen: ”Stecken Sie doch ihre Auszeichnungen an und seien Sie stolz darauf!”, was Figls diplomatisches Geschick zeigte, zumal am nächsten Tag die gleichen Polizisten, salutierend, auch noch ein freundlich strahlendes Gesicht zeigten.
Eine Ausnahme machte jedes Jahr der Bundesminister für Unterricht und Kunst, Felix Hurdes, weil er sich erlaubte, ein paar Tage bei seinem Freund Leopold Figl im Hotel Rauter einen Kurzurlaub zu verbringen. Dabei verlangte Hurdes, jedes Mal um Punkt 23 Uhr, dass die jeweils anwesende Tischrunde das “Wiener Fiaker Lied” singe. Seine “Dritten” saßen aber nicht ganz fest, weil es damals noch kein Kukident gab, was ihm beim berühmten Pfiff zwischen den Worten: “ ... i bin hoit .... a echt’s ...” sehr hinderlich war. Hurdes half sich aber, indem er beim Pfiff-Einsatz mit seinem Zeigefinger dirigierend auf mich zeigte, wonach ich den Pfiff zeitgerecht und laut einzufügen hatte. Figl fragte dann Hurdes, warum er gerade ausgerechnet dieses Lied mit dem typischen Pfiff gesungen haben wollte, wenn er doch nicht mehr pfeifen könne. Hurdes rief dann, auf mich zeigend: “Z’wos hab’n mir denn den Ivo?”, was weitere Heiterkeitsausbrüche und Gläseranstoßen mit sich brachte.
Figl hatte mich schon am Beginn des ersten Jahres meiner Sekretariats-Tätigkeit bei ihm, 1949, in seinem Matreier Urlaub darauf aufmerksam gemacht, dass ich mich, auch nach größeren Mengen Alkohols, nicht auf meinem Sessel zurücklehnen und niemals einen Zungenschlag haben dürfe. Er meinte, daß ich mich, wenn ich nach den vielen Getränken am Tagesende nicht mehr geradeaus in mein Zimmer zu gehen vermöchte, vom Hotelpersonal notfalls in mein Bett abschleppen lassen könnte.
Familie Figl, Foto: Privatbesitz |
Jeden Sonntag-Vormittag mussten Leopold Figl mit mir, als seinem Sekretär, auf einer vor dem Rauter-Hotel rasch aufgebauten Holztribüne, die Vorbeimärsche der verschiedenen Trachten-Musik-Kapellen aus den vielen Gemeinden Osttirols abnehmen. Jede Musikkapelle hatte mindestens zwei vorneweg marschierende Marketenderinnen mit kleinen hölzernen Schnapsfässern umgehängt und mit Zinnbechern in den Händen. Figl kaufte jeder Marketenderin mindestens einen Schnaps ab und gab viel Trinkgeld als Spende für die immer dringenden Instrumentenbeschaffungen der Dorf-Musikapellen. Mir blieb nichts anderes übrig, als fleißig mitzutrinken. Nach etlichen Trachtenkapellen-Paraden waren wir mittags gerade noch in der Lage, mit einigen Kurven den Speisesaal im Hotel Rauter zu erreichen.
An einem dieser Sonntage erschien auf der Tribüne auch der Wolle-Firmeninhaber Amann. der sowohl in Wien, wie auch in New York, Geschäfte besaß und von Figl die rasche Zuteilung einer Export-Bewilligung für billige Wolle aus Österreich nach den USA erhalten wollte. Sein Sohn hatte als Zeichen ihrer Wohlhabenheit fünf Leica-Fotokameras geöffnet und schussbereit sich um den Hals gehängt, was ihn nicht sympathisch erscheinen ließ. Amann machte am Ende seiner Begründungen für die zu seinen Gunsten gewünschte Genehmigung, den großen Fehler, Figl darauf hinzuweisen: “Eine rasche Erledigung wird nicht zu Ungunsten des Herrn Bundeskanzlers sein!”. Figls Gesichtsfarbe wechselte von rot auf weiß und wieder retour. Kurz danach tobte Figl und befahl mir, diesen Exportwunsch keinesfalls weiterzuleiten, denn er lasse sich doch nicht die Unverschämtheit der Annahme gefallen, er wäre durch eine Bestechung zu ködern. Erst nach drei Tagen hatte ich den empörten Figl wieder “auf dem Boden”, nachdem er jedes Mal auf den Plafond hochfuhr, wenn er nur schon das Wort Wolle oder Export hörte.
Die Wiener Sängerknaben hatten zur gleichen Zeit mit der Familie Figl, aber in einem anderen kleinen Tal Osttirols, ihren Ferienaufenthalt und trugen ihre Lieder mit Aufführungen ein- bis zweimal auf der Matreier Festwiese vor. Figl mit Gattin Ilse und ihren beiden Kindern saßen in der ersten Reihe auf einem Klappstuhl im kurz gemähten Gras. Mein Platz war rechts neben dem Kanzler, während rechts von mir sein Sohn Johannes saß. Links vom Kanzler saßen seine Gattin und links neben ihr die Tochter. Figl war ein gerechter, aber auch ein sehr strenger Vater. Als Figl in der Pause aufstand, ich natürlich sofort mit ihm, und er seinen Sohn ansprach, der aber sitzen geblieben war, herrschte Figl seinen Buben sehr laut an, daß er sofort aufzustehen habe, wenn ihn sein Vater anspreche. Um diese Ungezogenheit den vielen Besuchern hinter uns nicht auffällig werden zu lassen, musste ich Figl, mit einigen “Pscht”, am Arm nehmen und versuchen, ihn wieder zu beruhigen.
Text: Medizinalrat Univ.Prof. Dr. IVO FRITHJOF FISCHER
Gerichtlich beeidet und zertifizierter Sachverständiger
Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Chefarzt i.R. Gemeinn. Krankenhaus Mehrerau
Fellowship International College of Surgeons
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