Den Besuch bei einem an einer Universität ausgebildeten
Arzt konnten sich in Zeiten ohne Krankenkasse nur wenige leisten.
Herrscher und Adelige hatten ihre Leibärzte. Frei praktizierende Ärzte
fanden eine zahlungskräftige Klientel in den größeren Städten.
|
Bestallungsbrief für einen Stadtphysikus
Waidhofen an der Ybbs, um 1660
(© Waidhofen an der Ybbs, Stadtarchiv) |
Unter
dem Eindruck der permanent drohenden Seuchengefahr kam es ab dem 16.
Jahrhundert zu ersten durchgreifenden Neuerungen in der Organisation des
Gesundheitswesens. 1577 verlangten die Niederösterreichischen
Landstände – ein Organ, vergleichbar dem heutigen Landtag – die
Anstellung eines Medicus als Landschaftsarzt, der sie in Sachen
Gesundheitswesen beraten sollte. In der Folge wurden sie an der Wiener
Universität vorstellig und baten um Vorschläge für einen geeigneten
Arzt.
1584 wurden diesem Landschaftsarzt die Viertelsärzte
unterstellt: in Melk für das Viertel ober dem Wienerwald, in Wiener
Neustadt für das Viertel unter dem Wienerwald, in Waidhofen an der Thaya
für das Viertel ober dem Manhartsberg und in Mistelbach für das Viertel
unter dem Manhartsberg. Ihr jährlicher Sold betrug 200 Gulden. Dem
Viertelmedicus unterstanden die in der Region praktizierenden Ärzte, die
Bader, Wundärzte, Chirurgen, Apotheker und Hebammen des jeweiligen
Viertels, die er zu überwachen hatte. Weiters hatte er dafür zu sorgen,
dass die Verordnungen zur Seuchenbekämpfung eingehalten wurden und alle
anderen Sanitätsmaßnahmen; dazu zählten auch die tierärztlichen
Belange. Die Viertelärzte selbst mussten ihre PatientInnen kostenlos
behandeln. Diese hatten nur für die Kosten der Medikamente und für
allfällig anfallende Reisekosten aufzukommen. Daneben gab es aber auch
in manchen Gegenden bereits fortschrittliche Grundherren, die Ärzte für
die Betreuung ihrer Untertanen beschäftigten, so etwa die
Liechtensteiner in Mistelbach.
|
Bestallungsbrief für einen Stadtphysikus
Waidhofen an der Ybbs, um 1660
(© Waidhofen an der Ybbs, Stadtarchiv)
|
Eine durchgreifende
Neuorganisation des Sanitätswesens veranlasste Kaiserin Maria Theresia.
Federführend war ihr Leibarzt, der Niederländer Gerard van Swieten.
Zunächst wurde 1753 eine „Medizinalordnung“ publiziert, die die
Berufspflichten der Ärzte und Apotheker regelte. Das Hauptwerk war dann
das von der Sanitätshofdeputation erarbeitete und am 2. Jänner 1770
publizierte „Sanitätshauptnormativ“, das am 10. April 1773 noch durch
eine Erläuterung und Zusätzen ergänzt wurde – „
zu jedermanns leichterem
Begriff“. Die ersten vier Paragraphen regeln die Organisation des
Sanitätswesens: In jedem Erbland, so auch in Niederösterreich, wurde
eine „Sanitäts-Commission“ eingerichtet, die der jeweiligen
Landesregierung unterstellt war. Ihr Vertreter vor Ort war der
Kreishauptmann oder Vorsteher in den Kreisen und Distrikten. Sie hatten
über die Zustände zu berichten und darauf zu achten, dass alle
Verordnungen von den mit Sanitätsangelegenheiten befassten Personen auch
eingehalten wurden.
Die folgenden Paragraphen legen Aufgabe und
Pflichten der Medici fest. Die nach behördlicher Ordnung aufgenommenen
und bestätigten Land- und Stadt-Physici hatten in ihren Bezirken dafür
zu sorgen, dass Chirurgen, Bader, Apotheker und Hebammen ihrer Arbeit
korrekt nachkamen. Sie mussten jährlich ohne Vorankündigung alle
Apotheken in ihrem Bezirk kontrollieren und hatten darauf zu achten,
dass keine Marktschreier, Quacksalber, Landstreicher oder andere
unbefugt Kranke betreuten und Arzneien verkauften. Abschnitt 7
beschäftigt sich mit dem sittlichen Verhalten der Medici: „
Sie haben ihr
Amt bey Reichen, und Armen mit gleichen Eifer zu pflegen, dem Kranken
mit Liebe zu begegnen, vorzüglich aber auf sein Seelenheil Sorge zu
tragen …“. Und er regelt ihre Arbeitszeit: Ohne Erlaubnis dürfen sie
sich nachts nicht von ihrer Wirkungsstätte entfernen. Der erste Teil des
Sanitätshauptnormativ schließt mit der Eidesformel für die Medici.
|
Sanitätshauptnormativ
Wien, 2. Jänner 1770
Stift Altenburg, Archiv
(© Elisabeth Vavra) |
Der
zweite Teil des Hauptnormativs umfasst die Instruktion für die
Wund-Ärzte und Bader. Die Abschnitte 13 bis 16 regeln die Ausbildung und
Organisation der Wundärzte (Chirurgen): „
Zu diesem Ziel und Ende
sollen: Ordentliche Gremia, oder die sogenannte Lade der Wundärzte, in
jedem Kreise oder Viertel des Landes, wo noch keine dergleichen sind,
durch Unsere Landesstelle mit Zuziehung des Landes-Proto-Medici
errichtet werden, bey welchen alle Wundärzte des Kreises einverleibt
seyn müssen und bey welchen auch die Lehrjungen gehörig aufgedungen und
nach verflossener Lehrzeit freygesprochen und mit einem Lehrbriefe
versehen werden.“ Jedem Wundarzt wurde ein bestimmtes Gebiet zur
Betreuung zugewiesen. Jeder Vorsteher eines chirurgischen Gremiums war
verpflichtet, jedes halbe Jahr dem Landschaftsprotomedicus bei einer
Geldstrafe von 12 Reichstaler, Bericht zu erstatten. Finanziert wurden
die Gremien durch die Aufnahmegebühren neuer Mitglieder, den
Mitgliedsbeiträgen und Prüfungstaxen. Diese Beträge wurden nicht nur für
die Anschaffung von Instrumenten und Büchern, sondern auch zur Hilfe
für in Schwierigkeiten geratene Mitglieder sowie zur Unterstützung von
Witwen und Waisen verstorbener Mitglieder verwendet.
|
Ärztlicher Betreuungsvertrag für Dr. Holzgärtner
Fürst Karl Khevenhüller-Metsch, Schloss Starein,
20.04.1804, Retz, Stadtarchiv (© Elisabeth Vavra)
|
Unter Kaiser
Franz Josef wurde am 30. April 1870 das Reichssanitätsgesetz
verabschiedet. Damit wurde eine neue einheitliche, von oben gelenkte
Sanitätsverwaltung eingerichtet. Es gab nun auf vier Ebenen
Sanitätsorgane bei den politischen Behörden: den obersten Sanitätsrat
mit dem Referenten für Sanitätsangelegenheiten im Ministerium des
Inneren; die Landessanitätsräte, die Landessanitätsreferenten bei den
politischen Landesbehörden; die landesfürstlichen Bezirksärzte bei den
Bezirkshauptmannschaften; bei Städten mit eigenen Gemeindestatuten die
von den Gemeindevertretungen angestellten Sanitätsorgane. In Folge des
Reichssanitätsgesetzes von 1870 wurde ein Landessanitätsrat für das
Erzherzogtum Österreich unter der Enns als beratendes und begutachtendes
Organ für die dem Landeschef obliegenden Sanitätsangelegenheiten des
Landes errichtet. Auch die Sanitätsbezirke in Niederösterreich wurden
neu geordnet. Diese nach dem Amtssitzen der Bezirksärzte benannten
Sanitätsbezirke waren 1871: Amstetten, Bruck an der Leitha (für Bruck an
der Leitha und Baden), Hernals, Oberhollabrunn (für Oberhollabrunn und
Horn), Korneuburg (für Korneuburg und Großenzersdorf), Krems,
Mistelbach, Wiener Neustadt (für Wiener Neustadt und Neunkirchen), St.
Pölten (für St. Pölten und Lilienfeld), Scheibbs, Sechshaus, Waidhofen
an der Thaya und Zwettl.
|
Ordinationsschild Dr. Mathias Weisswasser
Retz, Museum im Bürgerspital (© Peter Böttcher) |
Das Reichssanitätsgesetz
enthielt nur grundsätzliche Bestimmungen. Die Länder waren angehalten,
Durchführungsbestimmungen zu erlassen. In Niederösterreich geschah dies
erst 1884 mit dem Landesgesetzblatt Nr. 9 eine Interpretation: „Jeder
Gemeinde ist die Verpflichtung auferlegt dahin zu wirken, daß sich in
ihrer Mitte die erforderliche Anzahl von Ärzten und Hebammen ansässig
mache. Insofern es kleinen Gemeinden nicht möglich ist, zu diesem Zwecke
die erforderlichen Mittel aufzubringen, wird es geboten sein, daß
mehrere benachbarte Gemeinden für die Ansässigmachung von Ärzten und
Hebammen gemeinschaftlich Sorge tragen und, wenn nötig, durch gemeinsam
zu bestreitende Entlohnungen sich die erforderliche Hilfe sichern.“ Die
Pflichten der Gemeindeärzte umfassten alle medizinischen, hygienischen
und sanitätspolizeilichen Belange im weitesten Sinne. Ihre Lage war aber
kläglich. Das Gebiet, das sie zu betreuen hatten, war meist groß. Sie
hatten kaum ein Einkommen, dass es ihnen erlaubte, sich ein Pferd und
einen Wagen zu halten. Denn die Gemeinden zahlten schlecht. Vom Honorar
zogen die Gemeinden gleich wieder einen Teil für die Miete der
Praxisräume ein. Es gab weder Kündigungsschutz noch Pensionen. Eine
Anstellung als Gemeindearzt war daher wenig erstrebenswert.
Ländliche Gebiete blieben weit ins 20. Jahrhundert hinein medizinisch unterversorgt.
Quelle:
Berthold
Weinrich unter Mitarbeit von Erwin Plöckinger, Niederösterreichische
Ärztechronik. Geschichte der Medizin und der Mediziner
Niederösterreichs. 1990.
Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen