Sehen wir auf einer medizinischen Illustration des Mittelalters oder der frühen Neuzeit einen Mann mit dem Uringlas in der Hand, so können wir mit 99,99 % sicher sein, dass es sich bei dieser Figur um einen „Bucharzt“ handelt, also um einen Mediziner, der an einer Universität studiert hatte. Neben den Badern (siehe Blogbeitrag #2 im Dezember 2014) und Wundärzten bzw. Chirurgen bildeten sie die dritte Gruppe innerhalb des Berufsstandes, der sich um die Gesundheit der Bevölkerung kümmerte.
Im Früh- und Hochmittelalter lag die Pflege der Heilkunst in den Händen der Orden. In den Klosterbibliotheken wurden die Werke antiker Ärzte bewahrt und immer wieder kopiert. Die Klosterärzte übten ihre Tätigkeit in den Klöstern, aber auch im Umland aus. Da die Kirche das Sezieren von Leichen verboten hatte, schwand allerdings das Wissen auf dem Gebiet der Anatomie. 1163 wurde auf dem Konzil zu Tours den Priestern ausdrücklich jegliche chirurgische Tätigkeit untersagt; am zweiten Lateranischen Konzil 1215 wurde das Verbot für die Kleriker, sich mit operativer Medizin zu beschäftigen, nochmals bekräftigt. Die Würzburger Diözesansynode 1298 verbot Klerikern auch, Operationen beizuwohnen. Mit diesem Verbot trennten sich die Wege der inneren Medizin und der Chirurgie, auf die Buchärzte nun nur mehr verächtlich hinabblickten.
Für die Herausbildung eines weltlichen Ärztestandes wichtig war die im 13. Jahrhundert einsetzende Trennung des Arztberufes von dem des Apothekers, die erstmals in der „Medizinalordnung“ Kaiser Friedrichs II. 1240 gesetzlich vorgeschrieben wurde. Vor dem 14. Jahrhundert gab es in Deutschland noch keine Hochschulen, an denen Medizin gelehrt wurde. Vorher musste man dazu nach Italien oder Frankreich gehen: Seit dem 10./11. Jahrhundert war die berühmteste Universität die Schule von Salerno, an der während des Mittelalters sogar Frauen zugelassen waren. Weitere medizinische Fakultäten, die gern von Deutschen besucht wurden, waren die im 12. Jahrhundert gegründeten Kollegien an den Hochschulen von Padua und Bologna. In Frankreich bildeten die Universitäten in Montpellier und Paris Zentren der medizinischen Wissenschaft.
Mit dem 14. Jahrhundert besserte sich die Situation in Deutschland: die Universitätsgründungen in Prag (1348), Wien (1365), Heidelberg (1386), Köln (1388) und Erfurt (1392) umfassten auch medizinische Lehrstühle. Dennoch bevorzugte der, der es sich leisten konnte, die Ausbildungsstätten in Italien oder Frankreich. Das Medizinstudium unterschied sich in seinem Aufbau kaum von anderen Studienrichtungen: Die Studenten, die etwa im Alter von vierzehn Jahren mit dem Studium begannen, absolvierten zunächst einen dreijährigen Vorkurs in den „Septem artes liberales“ – den sieben freien Künsten, die Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie umfassten. Dann folgte das eigentliche Medizinstudium, das meist fünf Jahre dauerte. Gelehrt wurde reines Buchwissen: Die angehenden Mediziner mussten die Schriften der antiken Ärzte und Naturwissenschaftler (Hippokrates, Galenus, Aristoteles, Dioscorides), der arabischen Autoritäten (z.B. Avicenna) sowie byzantinischer und abendländischer Gelehrter lesen. Sie wurden in Physiologie, Anatomie und Arzneimittellehre unterrichtet sowie in den damals zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Diagnostik: Beobachtung des Patienten (Gesichtsfarbe etc.), Fühlen des Pulses, Harnbeschau usw. Nach drei Jahren erwarben die Studenten das Baccalaureat. Die folgenden zwei Jahre praktizierten sie dann unter der Aufsicht ihrer Lehrer. Abgeschlossen wurde das Studium mit einer Prüfung und einer Disputation. Als selbständige Ärzte durften sie sich erst nach einem einjährigen Praktikum bei einem erfahrenen Arzt oder in einem Hospital niederlassen.
An der Ausbildung änderte sich im 16. Jahrhundert nur wenig. Maßgebend waren die medizinischen Autoritäten der Vergangenheit, deren Erkenntnisse man den Studierenden in den Vorlesungen nahe brachte. Sektionen von Leichen blieben selten. Anatomie lernte man in erster Linie an Hand von Schautafeln. Erleichtert wurde nun allerdings ihre Verbreitung durch den Buchdruck. Auch der praktische Unterricht am Krankenbett fand nur in geringem Ausmaß statt. Das änderte sich erst im 17. Jahrhundert. Die Unterrichtssprache war weiterhin Latein, was mit zur Exklusivität des Medizinstudiums beitrug. Zwar versuchte bereits Paracelsus die deutsche Sprache in das medizinische Schrifttum einzuführen, er blieb aber ein Einzelfall. Erst im 18. Jahrhundert begann sie sich langsam durchzusetzen. Im 18. Jahrhundert kam es dann zu einer Spezialisierung der medizinischen Fächer. Für die einzelnen Fachgebiete wurden eigene Lehrstühle eingerichtet.
In den Kronländern und damit auch in Niederösterreich herrschte bis ins 18. Jahrhundert hinein ein deutlicher Mangel an akademisch ausgebildeten Ärzten. Nur eine privilegierte Minderheit konnte sich die Kosten eines Medizinstudiums leisten. Die Situation gestaltete sich im 18. Jahrhundert so dramatisch, dass sogar Laien als Totenbeschauer eingesetzt wurden. Die Reformen Maria Theresias auf dem Gebiet des Gesundheitswesens zielten auf eine Beseitigung dieser Missstände. In den Kronländern sollten nur mehr Ärzte tätig sein, die an einer inländischen Universität ihre Prüfungen abgelegt hatten:
„In den gesamten Erbländern sollen von den Landschaften keine anderen Mediker, Stadt- oder Landphysiker, als welche auf inländischen Universitäten studiert, nach geprüfter Fähigkeit und gründlicher Gelehrsamkeit daselbst die Doktoratswürde erlangt haben und, soviel immer möglich, eingeborene Landskinder sind, irgendwo aufgestellet oder aufgenommen werden. Zur Erreichung dieser heilsamen und gemeinnützigen Absicht aber sollen in jenen Fällen, wo sich eine dergleichen Stadt- oder Landschafts-Erledigung ergeben wird, Ihrer Majestät drei tüchtige Subjekte in Vorschlag gebracht, diese aus den vorgedachtermaßen auf inländischen Universitäten graduierten Personen ausgewählet und hiebei auf die eingeborenen Landeskinder vorzüglich Bedacht getragen, ein Gleiches auch in Ansehung der von den Landschaften besoldeten Chirurgen nach Tunlichkeit beobachtet werden.“ (13. Jänner 1753)
Ein weiterer wichtiger Schritt bestand auch in einer besseren Ausbildung der Wundärzte, Apotheker und Hebammen, die an den Universitäten nun nach Abschluss ihrer handwerklichen Ausbildung eine Prüfung ablegen mussten. Um den Ärztemangel zu beheben wurden in den Provinzhauptstädten aufbauend auf die Lateinschulen Lyzeen für Land- und Zivilwundärzten eingerichtet, die das Angebot an Universitäten erweitern sollten. 1804 wurde für diese Anstalten eine Studienordnung erlassen, die Zulassung, Studienkurs etc. regelten.
Quelle: Ernst Königer, Aus der Geschichte der Heilkunst. 1958; Berthold Weinrich unter Mitarbeit von Erwin Plöckinger, Niederösterreichische Ärztechronik. Geschichte der Medizin und der Mediziner Niederösterreichs. 1990.
Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra
Hl. Petrus
heilt einen Kranken – Arzt führt eine Harnbeschau durch
Holzschnitt
aus: Francesco Petrarca, Von der Artzney bayder Glück,
Augsburg 1532 (©
Privatbesitz)
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Im Früh- und Hochmittelalter lag die Pflege der Heilkunst in den Händen der Orden. In den Klosterbibliotheken wurden die Werke antiker Ärzte bewahrt und immer wieder kopiert. Die Klosterärzte übten ihre Tätigkeit in den Klöstern, aber auch im Umland aus. Da die Kirche das Sezieren von Leichen verboten hatte, schwand allerdings das Wissen auf dem Gebiet der Anatomie. 1163 wurde auf dem Konzil zu Tours den Priestern ausdrücklich jegliche chirurgische Tätigkeit untersagt; am zweiten Lateranischen Konzil 1215 wurde das Verbot für die Kleriker, sich mit operativer Medizin zu beschäftigen, nochmals bekräftigt. Die Würzburger Diözesansynode 1298 verbot Klerikern auch, Operationen beizuwohnen. Mit diesem Verbot trennten sich die Wege der inneren Medizin und der Chirurgie, auf die Buchärzte nun nur mehr verächtlich hinabblickten.
Für die Herausbildung eines weltlichen Ärztestandes wichtig war die im 13. Jahrhundert einsetzende Trennung des Arztberufes von dem des Apothekers, die erstmals in der „Medizinalordnung“ Kaiser Friedrichs II. 1240 gesetzlich vorgeschrieben wurde. Vor dem 14. Jahrhundert gab es in Deutschland noch keine Hochschulen, an denen Medizin gelehrt wurde. Vorher musste man dazu nach Italien oder Frankreich gehen: Seit dem 10./11. Jahrhundert war die berühmteste Universität die Schule von Salerno, an der während des Mittelalters sogar Frauen zugelassen waren. Weitere medizinische Fakultäten, die gern von Deutschen besucht wurden, waren die im 12. Jahrhundert gegründeten Kollegien an den Hochschulen von Padua und Bologna. In Frankreich bildeten die Universitäten in Montpellier und Paris Zentren der medizinischen Wissenschaft.
Der Doctor Holzschnitt aus Jost Amman, Ständebuch, 1568(© Privatbesitz) |
An der Ausbildung änderte sich im 16. Jahrhundert nur wenig. Maßgebend waren die medizinischen Autoritäten der Vergangenheit, deren Erkenntnisse man den Studierenden in den Vorlesungen nahe brachte. Sektionen von Leichen blieben selten. Anatomie lernte man in erster Linie an Hand von Schautafeln. Erleichtert wurde nun allerdings ihre Verbreitung durch den Buchdruck. Auch der praktische Unterricht am Krankenbett fand nur in geringem Ausmaß statt. Das änderte sich erst im 17. Jahrhundert. Die Unterrichtssprache war weiterhin Latein, was mit zur Exklusivität des Medizinstudiums beitrug. Zwar versuchte bereits Paracelsus die deutsche Sprache in das medizinische Schrifttum einzuführen, er blieb aber ein Einzelfall. Erst im 18. Jahrhundert begann sie sich langsam durchzusetzen. Im 18. Jahrhundert kam es dann zu einer Spezialisierung der medizinischen Fächer. Für die einzelnen Fachgebiete wurden eigene Lehrstühle eingerichtet.
Der Doctor, Kupferstich aus: Christoph Weigel, Abbildung der gemein-nützlichen Haupt-Stände, Regensburg 1698 (© Privatbesitz) |
„In den gesamten Erbländern sollen von den Landschaften keine anderen Mediker, Stadt- oder Landphysiker, als welche auf inländischen Universitäten studiert, nach geprüfter Fähigkeit und gründlicher Gelehrsamkeit daselbst die Doktoratswürde erlangt haben und, soviel immer möglich, eingeborene Landskinder sind, irgendwo aufgestellet oder aufgenommen werden. Zur Erreichung dieser heilsamen und gemeinnützigen Absicht aber sollen in jenen Fällen, wo sich eine dergleichen Stadt- oder Landschafts-Erledigung ergeben wird, Ihrer Majestät drei tüchtige Subjekte in Vorschlag gebracht, diese aus den vorgedachtermaßen auf inländischen Universitäten graduierten Personen ausgewählet und hiebei auf die eingeborenen Landeskinder vorzüglich Bedacht getragen, ein Gleiches auch in Ansehung der von den Landschaften besoldeten Chirurgen nach Tunlichkeit beobachtet werden.“ (13. Jänner 1753)
Ein weiterer wichtiger Schritt bestand auch in einer besseren Ausbildung der Wundärzte, Apotheker und Hebammen, die an den Universitäten nun nach Abschluss ihrer handwerklichen Ausbildung eine Prüfung ablegen mussten. Um den Ärztemangel zu beheben wurden in den Provinzhauptstädten aufbauend auf die Lateinschulen Lyzeen für Land- und Zivilwundärzten eingerichtet, die das Angebot an Universitäten erweitern sollten. 1804 wurde für diese Anstalten eine Studienordnung erlassen, die Zulassung, Studienkurs etc. regelten.
Der Arzt, Josef Schmutzer, um 1840 Vorlage für die Druckserie "Der Mensch und seine Berufe" Baden, Rollettmuseum (© Privatbesitz) |
Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra
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