Erste Spuren chirurgischer Behandlungen finden sich bereits an Skeletten der Steinzeit. Durch Jahrhunderte hindurch waren große chirurgische Eingriffe meist nur das Ultimum Remedium – das letzte Mittel der ärztlichen Kunst. Eingesetzt wurden sie bei Unfällen, wenn es etwa galt, Knochenbrüche zu verarzten, oder bei Kriegsverletzungen, wenn Wunden versorgt werden mussten. Die älteste Armamputation wurde an einem männlichen Neandertaler vor ca. 50.000 Jahren durchgeführt.
Wissen und Kenntnisse der antiken Größen auf dem Gebiet der Chirurgie wurden in den Klosterbibliotheken und im arabischen medizinischen Schriftgut bewahrt und tradiert. Bis ins Hochmittelalter hinein war es Mönchen und Geistlichen erlaubt, auch chirurgische Eingriffe vorzunehmen. Das änderte sich: Ab 1130 wurde auf den diversen Konzilen mehr und mehr die ärztliche Betätigung von Klerikern eingeschränkt, bis schließlich auf dem Konzil von Tours 1163 operative Eingriffe den Mönchsärzten zur Gänze verboten wurden. So konnte und musste sich eine neue Klasse von Heilbehandlern herausbilden: Barbiere, Bader, Wundärzte. Diese führten nun einfache chirurgische Behandlungen durch wie Aderlass, Zahnextraktionen, Öffnen von Abszessen, Verbinden und Behandeln von Wunden etc. So kam es für 700 Jahre zu einer Abspaltung der Chirurgie von der wissenschaftlichen akademischen Medizin. Die Ausbildung erfolgte nicht mehr an Universitäten, sondern in der Praxis eines Wundarztes in der Form einer Lehre. Das hieß aber nicht, dass die Chirurgie deshalb in ihrer Entwicklung stagnierte.
Chirurgische Handschriften und ab dem ausgehenden 15. Jahrhundert Drucke spiegeln das umfassende Wissen und das weite Arbeitsfeld dieser frühen Chirurgen. Gute Beispiele für das ausgehende Mittelalter sind die „Chirurgia" (1497) des Hieronymus Brunschwig (1450-1533) und das „Feldbuch der Wundtartzney" (1517) des Hans von Gersdorffs (gest. um 1517). Nach einer Einleitung, die Anweisungen zum korrekten Verhalten eines Wundarztes enthält, beschäftigt sich das ältere Werk in den folgenden fünf „Traktaten" mit der Behandlung von Wunden, stumpfen Verletzungen durch Schlagen und Stoßen, Beinbrüchen und Verrenkungen. Im letzten Teil erhält man Anweisungen zur Zubereitungen von Arzneien, Pflastern, Salben und dgl. mehr.
Das jüngere Werk ist inhaltlich anders aufgebaut. Es umfasst insgesamt vier Traktate, die wiederum in Kapitel unterteilt sind. Der erste Traktat beschäftigt sich zunächst sehr detailliert mit der Anatomie des menschlichen Körpers. Vor dem 13. Kapitel ist ein ganzseitiger Holzschnitt eingeschoben, der einen stehenden Mann mit geöffneter Leibeshöhle zeigt. Gleichzeitig dient dieser Holzschnitt zur Angabe der Stellen am Körper, an denen zur Ader gelassen werden kann und soll. Mit dem Aderlass beschäftigen sich dann die anschließenden Kapitel 13 bis 16. Der zweite Traktat wird von einem ganzseitigen Holzschnitt eingeleitet; dieser zeigt einen nackten Mann, der an den unterschiedlichsten Körperteilen von verschiedenen Waffen durchbohrt ist. Die Verse über dem Holzschnitt drücken die Hoffnung aus, dass ihm der Chirurg trotz der vielen „straych und stich" helfen kann. Der zweite Traktat beschreibt die Arbeit des Chirurgen: mit Schädelverletzungen beginnend arbeitet sich der Autor durch den gesamten menschlichen Körper durch. Eindrucksvolle Illustrationen schildern dem Benutzer des Werkes z.B. wie man Knochen einrichtet und schient oder wie und mit welchem Instrument man eine eingedrückte Schädeldecke wieder „auffschraufft". Eingestreut in diese Erläuterungen sind Rezepte für passende Salben, Wundpflaster, Balsame u. ä. mehr. Das achte Kapitel beschäftigt sich mit den Möglichkeiten Blutungen zu stillen, eine in Zeiten, in denen man noch ohne Bluttransfusionen auskommen musste, ganz wichtige ärztliche Kunst. Die angeführten Mittel lassen mich wieder einmal dankbar dafür sein, dass ich im 20. Jahrhundert zur Welt kam: Oder hätten Sie gern als Wundverschluss schwarzes Pech oder eine Schmiere, die aus gebranntem Kalk, Alaun und schwarzem Pech zubereitet wird? Wohl kaum. Vor besondere Herausforderungen waren die die Heere begleitenden Chirurgen – die Feldscherer – gestellt. Sie mussten Wunden versorgen, die durch Geschosse unterschiedlicher Größe verursacht waren. Oft mussten sie auch im Feld Amputationen durchführen, wenn die Gliedmaßen zu sehr zerfetzt waren. Auch dazu gibt Hans von Gersdorff Anleitungen. Ich erspare Ihnen die Einzelheiten. Nach diesen Gänsehaut verursachenden Kapiteln finden sich Anweisungen zur Zubereitung von Sedativen, also schmerzstillenden Arzneien. Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, dass z.B. die angeführten diversen Schmalzarten auch wirklich helfen können. Immerhin kannte man auch bereits Opium, gewonnen aus Mohnkapseln.
Der dritte Traktat beschäftigt sich mit der Lepra, dem Aussatz. Nach einem Kapitel, das sich u.a. mit den Ursachen und den verschiedenen Ausprägungen der Krankheit beschäftigt, werden ausführlich die Zeichen der Lepra beschrieben. Ein Holzschnitt, der dem Traktat eingefügt ist, zeigt eine solche Leprabeschau, die über Leben oder „sozialem" Tod des Patienten entschied. Denn wurde Lepra diagnostiziert, bedeutete das für den Betroffenen den Ausschluss aus der Gemeinschaft. Nach einer Totenfeier für den „lebendig Toten" wurde er aus der Stadt, der Gemeinde hinausgeführt zu dem Leprosen/Siechenhaus, wo er bis zu seinem Tod leben musste. Man nimmt heute an, dass viele dieser Leprosen in Wirklichkeit nur an einer Hautkrankheit erkrankt waren und ohne Grund das Los der „lebendig Toten" ertragen mussten. Der vierte Traktat umfasst ein lateinisch-deutschen Vokabular der Anatomie. Damit endet das „Feldbuch der Wundartzney".
Wenn Sie neugierig geworden sind, in Hans von Gersdorffs „Feldtbuch der Wundtartzney" können Sie jetzt auch online blättern; das Heidelberger Exemplar der Ausgabe Straßburg 1517 finden Sie unter http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/gersdorff1517/0001, das Münchner Exemplar unter urn:nbn:de:bvb:12-bsb00010085-8; auch die spätere Auflage Straßburg 1528 wurde bereits von der Bayerischen Staatsbibliothek digitalisiert und online zur Verfügung gestellt: urn:nbn:de:bvb:12-bsb00024302-1.
Der Blog zur Ausstellung „Bader, Medicus, Primar" geht jetzt in die Sommerpause; im August geht’s weiter – ich hoffe, Sie bleiben uns treu!
Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra
Wissen und Kenntnisse der antiken Größen auf dem Gebiet der Chirurgie wurden in den Klosterbibliotheken und im arabischen medizinischen Schriftgut bewahrt und tradiert. Bis ins Hochmittelalter hinein war es Mönchen und Geistlichen erlaubt, auch chirurgische Eingriffe vorzunehmen. Das änderte sich: Ab 1130 wurde auf den diversen Konzilen mehr und mehr die ärztliche Betätigung von Klerikern eingeschränkt, bis schließlich auf dem Konzil von Tours 1163 operative Eingriffe den Mönchsärzten zur Gänze verboten wurden. So konnte und musste sich eine neue Klasse von Heilbehandlern herausbilden: Barbiere, Bader, Wundärzte. Diese führten nun einfache chirurgische Behandlungen durch wie Aderlass, Zahnextraktionen, Öffnen von Abszessen, Verbinden und Behandeln von Wunden etc. So kam es für 700 Jahre zu einer Abspaltung der Chirurgie von der wissenschaftlichen akademischen Medizin. Die Ausbildung erfolgte nicht mehr an Universitäten, sondern in der Praxis eines Wundarztes in der Form einer Lehre. Das hieß aber nicht, dass die Chirurgie deshalb in ihrer Entwicklung stagnierte.
Chirurgische Handschriften und ab dem ausgehenden 15. Jahrhundert Drucke spiegeln das umfassende Wissen und das weite Arbeitsfeld dieser frühen Chirurgen. Gute Beispiele für das ausgehende Mittelalter sind die „Chirurgia" (1497) des Hieronymus Brunschwig (1450-1533) und das „Feldbuch der Wundtartzney" (1517) des Hans von Gersdorffs (gest. um 1517). Nach einer Einleitung, die Anweisungen zum korrekten Verhalten eines Wundarztes enthält, beschäftigt sich das ältere Werk in den folgenden fünf „Traktaten" mit der Behandlung von Wunden, stumpfen Verletzungen durch Schlagen und Stoßen, Beinbrüchen und Verrenkungen. Im letzten Teil erhält man Anweisungen zur Zubereitungen von Arzneien, Pflastern, Salben und dgl. mehr.
Abb. 1: Aderlassmann |
Abb. 2: Gersdorffs |
Wenn Sie neugierig geworden sind, in Hans von Gersdorffs „Feldtbuch der Wundtartzney" können Sie jetzt auch online blättern; das Heidelberger Exemplar der Ausgabe Straßburg 1517 finden Sie unter http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/gersdorff1517/0001, das Münchner Exemplar unter urn:nbn:de:bvb:12-bsb00010085-8; auch die spätere Auflage Straßburg 1528 wurde bereits von der Bayerischen Staatsbibliothek digitalisiert und online zur Verfügung gestellt: urn:nbn:de:bvb:12-bsb00024302-1.
Der Blog zur Ausstellung „Bader, Medicus, Primar" geht jetzt in die Sommerpause; im August geht’s weiter – ich hoffe, Sie bleiben uns treu!
Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen